Indien Teil II: Ladakh (19. Juli – 7. August 2018)

Delhi, 19. Juli

Indien hat mich nicht mehr losgelassen nach meiner ersten Indien-Reise 2013. Ich wollte unbedingt wieder hin. Diesmal geht es nach Ladakh im nördlichsten Bundesstaat Jammu und Kaschmir. Ich bin unterwegs mit Gerda, meiner Freundin aus Bozen, und einer Wandergruppe von weiteren 13 fröhlichen Südtirolern. Wir begeben uns auf eine Kultur- und Trekkingreise. Wir fliegen zunächst nach Delhi.

Überraschenderweise ist Delhi nicht mehr der große Schock wie Mumbai bei meiner ersten Indienreise. Als wir vom Flughafen in die Stadt fahren, finde ich alles nicht mehr so verstörend: die schwüle Hitze, das Verkehrsgewusel, das unaufhörliche Gehupe, die Menschenmassen, der Dreck, Menschen, die auf dem Grünstreifen neben der Straße schlafen…. Selbst das Hotel hat denselben Geruch nach Desinfektions- oder Putzmitteln wie die Hotels auf der letzten Indienreise. Ich habe das alles schon einmal kennen gelernt, aber ich muss mich auch nicht mehr um alles selber kümmern. Unser Reiseleiter Luca ist jung, total sympathisch, ein erfahrener Traveller und erfüllt seine Aufgaben souverän und angenehm unaufdringlich.

India Gate, Delhi

Stadtrundfahrt in Delhi mit Tuktuks über die imposant angelegte royale Prachtmeile zum India Gate, danach Besuch der Freitagsmoschee, die die größte Indiens ist, aber nicht besonders schön. Wir müssen unsere Schuhe aus- und einen angeschmutzten Kittel überziehen. Es ist jetzt doch brutal heiß und unsere nackten Fußsohlen qualmen, also sehen wir zu, dass wir da mal schnell wieder rauskommen und suchen lieber draußen ein Schattenplätzchen.
Bevor wir uns voll auf das Besichtigungsprogramm konzentrieren können, müssen Gerda und ich erstmal das Rupienrätsel lösen, denn unsere schlauen Reiseführer geben nur den Kurs für 1 Euro an, was uns nichts nützt, denn wir zahlen ja in Rupien. Wieviel kostet ein Bier und wieviel Trinkgeld gibt man einem Tuktukfahrer? Mathematische Kenntnisse sind gefragt, zum Glück haben wir zwei Mathematiklehrerinnen dabei.

Unser Tuktukfahrer Ameen macht gleich zu Anfang klar, dass er über das Trinkgeld hinaus, das unser Luca für die Gruppe gibt, noch eine persönliche, von Herzen kommende Anerkennung erwartet, denn er möchte uns glücklich machen und wenn wir glücklich sind, können wir ihn ja auch glücklich machen. Seine Argumentation überzeugt uns und nachdem er den Zeitpunkt der Geldübergabe angekündigt hat, beraten wir uns und befinden 100 Rupien für angemessen. Alle sind glücklich, Ameen umso mehr, als ich ihm anbiete, nach unserer Rückkehr von Leh mein Guide für meine letzten beiden Tage in Delhi zu sein.

img_40341786058946.jpg

Schatzkammer Old Delhi

Old Delhi: Ein Gewirr von engen Gassen, durch das sich Menschen, Tuktuks und Mopeds drängeln, unten gammelige Läden, die funkelnde, leuchtende Schätze anbieten (vor allem Stoffe in unglaublich schönen Farben und Mustern), oben die immer wieder beeindruckenden ‚Kabelbäume‘. Unser Guide sagt, sie seien alle legal und es sei nicht einfach, illegal Strom anzuzapfen. Ob das wohl stimmt?

Kabelbaum

Zurück mit der Metro. Ich wusste gar nicht, dass Delhi eine Metro hat! Seit 12 Jahren schon. Was für ein Kontrast zu der Altstadt oben. Die Metro ist modern, sauber, hell, die Orientierung fällt leicht, die Züge kommen alle 2 Minuten, sie sind klimatisiert und es ist ruhig. – Ich möchte nur noch Metro fahren.
Abends im Hotel auf der Dachterasse: Juchu!!! Endlich wieder ein Kingfisher.

Ladakh, 24. Juli

Ich will mit der Landschaft anfangen. Als wir in Leh landen, bin ich irgendwie enttäuscht. Nur geröllige, kahle Berge um uns herum, kein Grün. Man sieht auch keine schneebedeckten Postkarten-Himalaya-Gipfel. Leh ist eine Stadt in einer Einöde auf 3300 m.

Leh, unsere Basisstation

Inzwischen haben wir mehrere Klöster und Dörfer besucht und haben mehrere mehrstündige Wanderungen gemacht und dabei hohe Pässe überquert. Man kommt sich verloren vor in dieser abweisenden Steinwüste und doch üben die endlosen Bergmassive in ihren Ockerfarben, Braun, Sand- und Grautönen eine eigenartige Faszination aus. Du bist ein Nichts in dieser Landschaft, du bist im Nichts.

verloren1527951523.jpg

Wanderung zum Kloster Rizong

Doch dann plötzlich ein leuchtender Farbtupfer: ein Rosenbusch oder eine blühende Salbeipflanze, die auf dem gestrengen Hintergrund der Berge ihre zauberhafte Schönheit zeigen und Auge und Herz erfreuen.

Und endlich ein bisschen Grün, es gibt Wasser. Dort wo Wasser rinnt, entstehen kleine Grünstreifen. Wenn es mehr Wasser ist und es sich auf einer Ebene etwas ausbreiten kann, gibt es Oasen – Dörfer.

gruen664545926.jpg

Blick ins Industal

Nur 5% des Landes können überhaupt bewirtschaftet weden. Wasser ist das höchste Gut und der Indus die Lebensader Ladakhs.
Das Wasser wird in kleinen Kanälen und Gräben so geleitet, dass Felder und Gärten bewässert und mittelalterlich anmutende kleine Steinmühlen zum Mahlen der Gerste angetrieben werden können. Der Anbau von Gerste und Gemüse scheint nur für den Eigenbedarf gedacht zu sein. Bisher habe ich noch keine größeren Landwirtschafts-betriebe gesehen. Es gibt nur wenige Straßen, die zu den sehr entlegenen Dörfern oder Klöstern führen. Meistens werden sie von Touristen-Taxis oder Militärfahrzeugen befahren. Tourismus und das Militär sind offensichtlich die Haupteinnahmequellen für die Ladakhis. – Und die Klöster. Darüber später mehr.

27. Juli

Es stimmt. Von den ca. 290 000 Einwohnern Ladakhs gehören 30 000 zum Militär. In Ladakh sind Inder aus dem ganzen Land stationiert. Ladakh grenzt an Pakistan im Westen und China im Osten. Zu beiden Nachbarn hat Ladakh eine kritische Beziehung, denn beide kontrollieren Teile des Landes. Wenn man durch das Land fährt, trifft man häufig auf Militärkonvois, passiert Checkpoints, die die Genehmigungen überprüfen und kommt an traurig-lausig aussehenden Barackensiedlungen vorbei. Dennoch – das Militär ist einer der größten Arbeitgeber des Landes und zahlt gut. Und Familien, die nicht so gut aufgestellt sind, sind froh, wenn sie ein Kind zum Milität schicken können.
Und wenn ein anderes Kind – in der Regel ein Sohn – in einem Kloster aufgenommen wird, sind zwei schon mal versorgt. Die Klöster brauchen Nachwuchs, die Kinder erhalten dort eine Schulbildung, zu essen und ein Dach über dem Kopf. Der Preis dafür ist, dass sie von ihren Familien getrennt werden und den oft anstrengenden Klosterregeln folgen müssen. Wir waren in einem Frauenkloster und haben uns dort mit einem 17-jährigen Mädchen unterhalten. Sie sagte, sie sei schon seit 8 Jahren im Kloster und ihr Entschluss, ein Leben lang buddhistische Nonne zu sein, stehe fest. Sie schien glücklich, ihr Gesicht strahlte. Doch hatte sie jemals eine Wahl? Oder kommt mir da wieder meine westliche Sicht von der Entfaltung des Individuums in die Quere? Die Auseinandersetzung mit dem Thema Buddhismus verwirrt und verunsichert mich. (Später mehr)

buddhistin972679146.jpg

Kleine Nonnen im Frauenkloster Rizong

Die Klöster sind die größten Landbesitzer und verpachten ihr Land an Bauern. Das wichtigste Kloster Hemis – ein Rotmützenkloster – besitzt ein Viertel der kultivierbaren Fläche Ladakhs. Außerdem erhalten sie großzügige Spenden von Seelenheilsuchern. Mit dem Geld können die Klöster ihre Klosterschulen, Renovierungen und Bauarbeiten sowie die Restaurierung und den Erhalt ihrer unschätzbar wertvollen Kunstschätze, z.B. die teilweise über 2000 Jahre alten wunderschönen Fresken, finanzieren.

Die ladakhischen Stadtmusikanten: Jeder ist im anderen aufgehoben

2. August, Autofahren in Ladakh

Wenn man sich eine Trekkingkarte von Ladakh anschaut, sieht man nur wenige ‚Grünstreifen‘. Ein etwas größerer ist das Nubratal im Norden von Leh, durch das der Shyok und die Nubra fließen. Der erste Ort Diskit ist von Leh 85 km und 5 Autostunden entfernt, Wir müssen einen der höchsten Pässe der Welt, den Khardong Pass auf 5300 m Höhe queren.

img_4208-1000x750542064408.jpg

Khardong-Pass, 5359 m

Die Straße ist – wie die meisten Straßen in Ladakh einspurig – und das Wetter ist regnerisch kalt. Über endlose Serpentinen quälen sich Militärfahrzeuge, Touristen-Vans und Lastwagen, Motorradfahrer und sogar einige verrückte Fahrradfahrer. 20 km vor und hinter dem Pass wird die Straße zur gerölligen Piste.
Unser Fahrer Gochuk fährt absolut sicher umsichtig und defensiv, doch bei Gegenverkehr und Überholmanövern von Militärkonvois und Lastwagen am Abgrund entfahren mir doch ab und zu leichte Paniklaute.
Immer wieder frage ich mich, warum sich der Mensch diese widerspenstige Natur gefügig machen will. Ist das gut oder schlecht? Und warum siedeln Menschen überhaupt an Orten, die kaum zugänglich sind? Später erfahre ich, dass die Straße ein alter Handelsweg von Pakistan nach Indien war – allerdings damals von Kamelkarawanen genutzt.
Ich sehe erbärmliche Grüppchen von Straßenarbeitern, die an einem der unwirtlichsten Arbeitsplätze der Welt ihre nie endenden Dienst versehen: Ein Stück Straße ist eingebrochen, ein Erdrutsch hat die Straße verschüttet, ein Felsbrocken liegt auf der Fahrbahn…. eine Sisyphos-Arbeit. Die kleinen, dünnen, dunklen Männer in ihren schmutzigen Steppjacken und groben Wollmützen kommen aus Bihar, dem ärmsten Bundesstaat Indiens. Sie sind jung, oft noch Jungens, nicht Mal 20 Jahre alt, sitzen am Straßenrand, zertrümmern mit einfachstem Gerät Steine und schichten sie zu Haufen. Sie wohnen in Baracken in der nächstliegenden Militärstation. Gochuk sagt, sie verdienen 600 Rupien am Tag, ca. 8,50 €. Wir sehen auch Frauen bei der Straßenarbeit. Sie kommen aus Nepal – ihre Kinder müssen sie in der Heimat bei Großeltern oder irgendwelchen Verwandten zurücklassen.

Straßenarbeit

Sisyphosarbeit auf 5000 m Höhe

An diesem kalten, nieseligen Tag ist dies der bleibende Eindruck meiner ersten Passüberquerung in dieser Höhe und nicht das eindrucksvolle Himalaya-Gipfel-Panorama, das wir an einem sonnigen Tag gehabt hätten. Gut so.

img_4216-1600x1200-1625240517.jpg

Nach der Passüberquerung endlich wieder ein bisschen Grün: Nubratal

Delhi, 6. August

Nach 3 Tagen ‚Golden Triangle‘ (Delhi – Agra – Jaipur) hat mich die dreckige, laute Metropole Delhi wieder, morgen Nacht geht’s zurück. So habe ich noch ein bisschen Zeit, meine 2. Indien- Reise hier weiter zu betrachten und Eindrücke festzuhalten. Aber vor meinen weiteren Ladakhimpressionen muss ich ein paar denkwürdige Ereignisse dieser letzten 3 Tage festhalten, an denen ich alleine mit Fahrer unterwegs war.
Natürlich haben mich die unglaublich ästhetischen und prächtigen Bauten wie das Taj Mahal und das Amber Fort in Jaipur sehr beeindruckt und es ist toll, diese Weltwunder und Weltkulturerbe-Bauten selbst zu sehen und sich im Strom der Touristen mitreißen zu lassen.

Amber Fort: Man erkennt hier die riesigen Ausmaße nicht – das Fort zieht sich über mehrere Hügel. Man kann sich mit Elefanten auf den Hügel bringen lassen. Oben: unglaublich reich und kostbar verzierte Paläste wie aus Tausend und eine Nacht, und ein unendliches Gewirr von mittelalterlichen Gassen über mehrere Ebenen

Aber spannender als die Bauwerke der einstigen indischen Hochkultur finde ich die Begegnungen mit Menschen.

Um sich in Indien als Tourist umzuschauen, scheint man immer einen Guide zu brauchen. Das ist lästig, denn die Guides sagen einem ständig, was man tun soll und zum Schluss, weiß man nicht, wieviel Geld man ihnen geben soll. Der erste Guide am Taj Mahal ist mir besonders lästig. Er hat auseinanderstehende, schwarz umrandeten Zähne und ein schmieriges Lächeln, mit dem er mich ständig fragt, ob ich mit seiner Führung glücklich sei. Er kommandiert mich rum und postiert mich überall, um alberne Postkartenfotos von mir und dem Weltwunder zu machen. Dann bringt er mich noch zu einem Steinmetz, dessen Vorfahren früher angeblich Arbeiten am Taj Mahal ausgeführt haben, und natürlich traue ich mich wieder nicht zu gehen, ohne ein kleines Teelicht erstanden zu haben. Naja, vielleicht werde ich mich ja darüber freuen. Jedenfalls bin ich froh, als ich diesen Typ los bin und wieder neben meinen scheuen, kaum des Englischen mächtigen, jungen Chauffeur Chiko aus Bihar sitze. Er lässt mich wenigstens in Ruhe.
Bei der nächsten Sehenswürdigkeit, Fathepur Sikri, werde ich einem Jüngelchen übergeben. Er behauptet, er heiße Mustafa und sei 19 Jahre alt, sieht aber aus wie 16. Mustafa kommt gleich zur Sache und fragt mich, ob ich damit einverstanden sei, mit ihm Sex zu haben haben. Es würde nur 20 Minuten dauern und er würde für das Zimmer aufkommen und auch zahlen. Ich denke, ich höre nicht richtig und frage noch mal nach. Aber Mustafa meint es ernst und nachdem ich ihm vorgeschlagen habe, sich doch eine hübsche junge Inderin zu suchen, erfahre ich den ganzen Ernst der Lage: junge Inderinnen bekommen nicht die Erlaubnis ihrer Eltern auszugehen, daher möchte er von einer älteren Frau in Sachen Sex unterwiesen werden. Außerdem würden reife Frauen aufgrund ihrer Erfahrung alles bieten, was die Liebe so zu bieten hat, und nicht nur rumdilletieren.
Eigentlich hat Mustafa ja Recht. Ich bin ihm nicht böse und er mir auch nicht, als ich sein Angebot ablehne. Später erfahre ich, dass es in Indien offensichtlich durchaus üblich ist, dass junge Männer von älteren Frauen in die Liebe eingeführt werden. Meinem Chauffeur Chiko sage ich, dass ich mir nur noch Orte ohne Guide anschauen möchte.
Abends in Jaipur: Ich brauche Geld – es zerrinnt mir zwischen den Fingern – und ich suche eine ATM Maschine. Ein Mann spricht mich an: Ich sei doch aus Europa, ob ich ihm sagen können, ob in Europa überall Skinheads rumlaufen und woran man sie erkennt. Er möchte mit Europa Geschäfte machen, aber hat Angst vor Skinheads.
Ich versichere ihm, dass er sich nicht fürchten muss und dass seine Angst genauso übertrieben ist wie die der europäischen Frauen davor, dass sie in Indien gleich vergewaltigt werden. Ich frage ihn nach einem Laden für Stoffe und Decken. Er setzt mich auf sein Moped und bringt mich in einen kunsthandwerklichen Laden, wo ich gleich eine Vorführung zum Bedrucken von Stoffen bekomme. Ich verspreche dem Chef, morgen wieder zu kommen. Aijiz, so heißt meine neue Bekanntschaft, möchte, dass ich seine russische Freundin Kristina kennenlerne. Wir treffen uns auf der Dachterrasse ihres Hotels und trinken Bier. Kristina ist aus Littauen, war dort Ärztin und Pharmareferentin und hat nach ihrer Scheidung ihr altes Leben hinter sich gelassen, um in Indien neu durchzustarten. Sie will ein Nahrungsprodukt für allgemeines Wohlbefinden vertreiben. Kristina ist klug, warmherzig und selbstständig und, wie ich finde, sehr mutig.
Wir verabreden uns für den nächsten Tag in Aijaz‘ Laden: Gems and Jewellery.
Nach meinem Besichtigungsprogramm gehe ich zum Kaffee in Aijaz‘ Geschäft und natürlich probiere ich allen möglichen Schmuck an. Plötzlich merke ich, dass mir ein Ohrring fehlt. Zu sechst krempeln wir den ganzen Laden um und gehen noch mal genau die Aufnahmen der Videoüberwachung durch. Nichts, der Ohrring bleibt verschwunden. Ich kaufe ein paar neue Ohrringe und denke, dass er irgendwann wieder auftauchen wird. Wir gehen wieder auf die Dachterrasse, trinken Bier und essen, Aijaz‘ Freund Yussuf kommt dazu. Jetzt habe ich Freunde in Jaipur und das Angebot, mit in ein Geschäft einzusteigen.

jaipur703927725.jpg

Jaipur, Party auf dem Hoteldach: Aijaz, Kristina, Yussuf und Mechthild

Delhi, 7. August

(Fortsetung: Autofahren in Ladakh)
Die Fahrt vom Tsomoriri See zurück nach Leh dauert 220 km und 7 Stunden. Wieder: viele Checkpoints mit Passkontrolle usw. Wir kommen durch spektakuläre Berglandschaften, durch leere, gnadenlos sonnenaufgeheizte Geröllwüsten und durch sehr vereinzelte winzige grüne Oasen. Wir sehen Ziegenherden, Yaks und Murmeltiere.
Unsere Fahrgemeinschaft – Ingrid, Florian und ich – vertreibt sich die Zeit damit zu überlegen, welchen Film man hier drehen könnte, z.B. rasante Verfolgungsjagden über holprige Pisten und über Serpentinen am Rande des Abgrunds in einem James Bond Film oder einen Epos à la ‚Herr der Ringe‘. Außerdem beschäftigen wir uns damit, eine mentale Liste für einen fiktiven Feedbackbogen beim Verlassen Ladakhs zu erstellen, z.B. die Straße ganz und nicht nur zur Hälfte asphaltierten, Gesteinsbrocken auf der Fahrbahn gemeinsam wegzuräumen, statt mit gewagten Schlenkern um sie herum zu fahren, Bergwasser unter der Brücke durchzuleiten, statt über sie rüber oder ein Hinweisschild auf ein View-Point Café nur dann aufzustellen, wenn es auch irgendwann eins gibt. – Aber: Wer sind wir denn, Vorschläge zu machen? Es ist nicht unser Land und was verstehen wir schon davon? Wir können nur Fragen stellen, aber die Antworten müssen wir von den Bewohnern in Erfahrung bringen.
In einem winzigen Kaff neben einer Schule für Nomadenkinder sehen wir plötzlich tatsächlich eine suggestion-box. Wir freuen uns, und fahren weiter.
Ein Wort noch zu unserem Fahrer Gochuk: Er fährt unglaublich sicher, vorausschauend und geduldig, passt immer auf,dass er die Reihenfolge unseres Konvois einhält (wir sind Fahrzeug Nr.4 von 5) und versichert sich immer wieder, dass das letzte Fahrzeug nachkommt. Nur einmal entfährt ihm bei einem gefährlichen Rückfahrmanöver, zu dem er durch einen sturen entgegenkommenden Fahrer gezwungen wird, ein leichter Fluch. Er sieht jeden Morgen frisch und wie aus dem Ei gepellt aus und putzt in jeder freien Minute sein Auto. Dank Gochuk können wir die Fahrten genießen und und – meistens – entspannen.

gochuk-1213732853.jpg

Gochuk bei seiner Lieblingsbeschäftigung

Trekking in Ladakh

Als wir das erste Mal einen Pass von knapp 4000 m überqueren. bin ich ganz schön geschockt. Die letzten 200 m, die in steilen Serpentinen hoch führen, fallen mir unglaublich schwer, jeder Schritt wiegt Tonnen. Ich quäle mich im Schneckentempo hoch. Damit hatte ich nicht gerechnet. Zum Glück habe ich keine anderen Malässen wie Übelkeit oder Kopfschmerzen.
Bei unseren nächsten Passüberquerungen bin ich schlauer und schlage von vornherein ein langsames Tempo ein, bei dem ich gleichmäßig und entspannt atmen kann. Das Wandern in dieser Höhe lehrt einen Geduld. Auch wenn das Ziel ganz nah scheint, so braucht es doch seine Zeit und jeder Schritt will einzeln und bewusst gesetzt sein. So wird Wandern in Ladakh zur Meditation. Auf dem Gipfel wird jeder einzeln mit ‚Berg heil‘ begrüßt und wir befestigen neben den vielen schon vorhandenen Gebetsfahnen auch unsere mit dem ladakhischen Bergsteigergruß: Kiki soso lha gyalo, den uns unser Guide Tashi vorsagt: Mögen die Götter siegreich sein. Ein schönes Ritual.

img_4311-1000x750929154224.jpg

img_4313-1000x7501895266056.jpg

Geschafft: Höchster Pass unserer Trekkingtour, der ShingbukLa Pass, 5370 m: Kiki soso lha gyalo

img_4297-1000x750-2129274554.jpg

Luxustrekking mit Gepäckpferden, Zeltaufbauern und Köchen

Nach den ersten 2 Tageswanderungen sind wir genügend akklimatisiert, um die 4-tägige Trekkingtour anzugehen. Wir werden begleitet von: 13 Pferden und 2 Fohlen, 3 Pferdeführern, unseren Guide Tashi und seinem Sohn, 1 Koch aus Nepal und 2 Hilfsköchen. Die Pferde schleppen unser Hauptgepäck, Zelte, Matratzen, Essen zum Kochen für 4 Tage, Geschirr, Futter für die Tiere…. Eigentlich ganz schön komfortabel. Trotzdem hätte ich nicht mehr tragen können als meinen kleinen Rucksack. An 4 Tagen überqueren wir 4 5000 m Pässe, in der 2. Nacht schlagen wir unser Lager auf 5300 m auf.
Wenn wir ankommen, sind das Klozelt und die anderen Zelte schon aufgebaut und es gibt Tee und Kekse. Während wir vor Erschöpfung in unseren Zelten zusammensacken, bereitet die Kochcrew ein ausgesprochen leckeres, mehrgängiges Abend-Menü vor: Suppe, frisch gebackenes Brot, Reis oder Nudeln mit Gemüse und Linsensauce, Melone und dann wieder: Tee.
Um 21:00 sind Gerda und ich in unserem Zelt verschwunden und versinken im Tiefschlaf, bis wir morgens um 6:30 wieder von Tashi mit einer Tasse Tee geweckt werden.

Babelsberg, 12. August

Delhi

Seit Mittwoch bin ich wieder zu Hause in Babelsberg:  Kein Fitzelchen Müll, kein Krach und kein Gehupe, der Park ist grün und sauber, Menschen liegen nackt am See, unterhalten sich leise oder lesen, im sauberen Wasser gehen die Menschen schwimmen….

Die Bilder von den letzten beiden Tagen Delhi rauschen mir durch den Kopf. Als ich von der Golden-Triangle Tour zurück komme, ist in Delhi das Shiva-Festival voll im Gange. In der ganzen Stadt sieht man immer wieder einzelne oder Grüppchen von Männern, orange gekleidet, teilweise sehr müde und mitgenommen, mit einer Art bunt-dekoriertem und mit Klimbim verziertem Gestänge auf den Schultern durch die Stadt laufen. Ich erfahre, dass ein 15-Tage andauerndes hinduistisches Festival stattfindet, das an meinem letzten Delhi-Tag auf seinen Höhepunkt am nächsten Tag zusteuert: Gläubige Hinduisten schöpfen aus dem Ganges – ca. 250 km von Delhi entfernt – Wasser und bringen das heilige Wasser in den Gefäßen zu Fuß – teilweise sogar barfuß – nach Delhi zu einem der vielen Shivatempel.

Delhi1

Shiva-Pilger

In der ganzen Stadt verteilt sind Lager aufgebaut, in denen die erschöpften Pilger verköstigt werden und sie sich von ihrer anstrengenden Wanderschaft ausruhen können. Allerdings herrscht dort ein Höllenlärm und durch Lautsprecher ertönt religiöse Musik oder es spielen auch Bands. Das alles basiert auf Spenden und Freiwilligenarbeit und ist super gut organisiert. Ich bin total beeindruckt.

Mein Tuktukfahrer der letzten beiden Tage bringt mich zu so einem Camp und der Oberorganisator dieses Camps zeigt mir alles und lädt mich zum Tee ein.

Ladakh: Menschen und Religion

Auch wenn ich jetzt schon wieder ein paar Tage zu Hause bin und sich allmählich das Ende der Sommerferien und mein Schulalltag wieder in den Vordergrund drängeln, ich möchte diese Reise zu Ende bringen, d.h. aufschreiben, was mich beeindruckt und bewegt hat – nicht nur für mich, sondern auch für meine Reisetruppe.

Ich habe es ja bereits angedeutet: Wenn man in Ladakh unterwegs ist, kommt man nicht an dem Thema Spiritualität und Buddhismus vorbei. Überall im Land kleben die imposanten Klöster an den Felsen, überall trifft man auf teilweise gigantisch große, vergoldete Buddhafiguren, überall stehen Gebetstrommeln, um die man rechts herum geht und dabei anstößt, überall trifft man auf kleine Hügel mit Mani-Steinen und meist weiß getünchte Stupas, überall hängen Gebetsfahnen. Und das ist nicht nur folkloristische Deko.

Religion7

Kloster Thikse

Religion6

Religion2

Buddha ist überall präsent

Religion3

Ich weiß nicht, was auf diesem Manti-Stein steht, aber auf den meisten Manisteinen steht: Om mani patme hum – Ich grüße das Juwel in der Lotusblume

Religion4

Fußgängerzone in Diskit, Nubratal

Gerda und ich lesen uns gegenseitig über den Buddhismus vor, versuchen zu verstehen, gleichen es ab mit dem, was wir sehen und unserem eigenen Leben.

Dialog Gerda – Mechthild

M:       Ich kann meine Sonnenbrille nicht finden – ich habe schon überall geguckt. Sie ist weg, aber ich brauche meine Sonnenbrille.

G:        Dass du so an deiner Sonnenbrille hängst, schafft nur Leiden. Du musst dich davon lösen.

M:       Aber wenn ich meine Sonnenbrille nicht finden kann, schafft das noch mehr Leiden.

Ich lese von einem Autor (Andrew Harvey, A Journey to Ladakh), der auf der Suche nach Erlösung beim Buddhismus in Ladakh landet und dort seinen Lehrer und Meister findet, einen alten Mönch aus dem Kloster Thikse. Dieser hat 20 Jahre in einer Höhle allein meditiert, um zur Erleuchtung zu gelangen. – Das ist nichts für mich, denke ich. Dann will ich lieber keine Erleuchtung. Und vielleicht ist diese Art von Erleuchtung nichts für den Menschen, wenn er ein Viertel seines Lebens dafür allein in einer Höhle meditieren muss.

Trotz unserer westlichen Zweifel beweisen die Menschen, die wir in Ladakh treffen, dass der Buddhismus ihr Leben bestimmt und erdet. Sie sind freundlich, ausgeglichen und geduldig. Sie saufen und rauchen nicht, essen kein Fleisch – nicht mal Eier. Sie drehen jede Gebetsmühle und gehen um sie im Uhrzeigersinn herum, sie murmeln Mantren zu ihren Perlen auf der Mala. Der Buddhismus bestimmt die Regeln, nach denen sie leben und man hat das Gefühl, dass sie ein Leben führen, mit dem sie zutiefst einverstanden sind und das mit der Erde und ihren Ressourcen verantwortungsvoll umgeht.

Dolma3

Dolma, die gute Seele unseres Zuhauses in Leh

Dolma, die ‚landlady‘ unseres Guesthouse in Leh, hat uns sehr beeindruckt. Sie ist wohl so Mitte 60 und führt das Guesthouse nach dem Tod ihres Mannes vor drei Jahren selbständig und geschickt mit ihrer Tochter und Schwiegertochter. Sie war Vorsitzende der Frauen-Association in Leh und hat mit der Norwegerin Helena Norberg-Hodge, die viel in Ladakh gelebt und das Leben in Ladakh erforscht hat, zusammengearbeitet, um insbesondere die Frauen auf dem Land zu unterstützen bei dem Erhalt ihrer Fähigkeiten und Traditionen. Dolma lebt ihre buddhistischen Werte, geht zu Lektionen des Dalai Lamas, der gerade ein paar Tage in Leh ist, kennt aber auch die Welt, hat in den USA ihre andere Tochter besucht und hat sich selbst Englisch beigebracht.  Dolma serviert uns nicht nur jeden Abend ein leckeres Abendessen, sondern hat auch immer Zeit für ein kleines Schwätzchen und führt uns sogar am letzten Abend noch in die Kunst des Momo-Machens ein.

Sie verbindet selbstverständlich ihre buddhistischen Werte mit den Veränderungen, die Öffnung Ladakhs und die Globalisierung mit sich bringen.

Natürlich bleibt auch Ladakh nicht vom Tourismus und seinen Auswüchsen verschont. Auf dem Lande in den Dörfern spürt man das kaum und die Menschen scheinen ihren Jahrhunderte alten erprobten traditionellen Lebensweisen nachzugehen (allerdings sieht man schon auch hier Satellitenschüsseln), aber Leh ist ganz deutlich auf Tourismus eingestellt. Überall entstehen immer größere und luxuriösere Hotels. Wenn man über die Straße läuft, muss man es möglichst vermeiden, in irgendeine Auslage zu gucken, denn sofort wird man von den Händlern zugetextet und es ist schwer sich – ohne unfreundlich zu werden – ihrer Überredungskünste zu erwehren. Am Schluss fahren Gerda und ich nur noch Taxi.

Und natürlich diskutieren wir in der Gruppe über unsere Rolle bei dieser Entwicklung. Was ist gut, was ist schlecht am Tourismus? Es ist schwierig, einen Mittelweg zu finden, doch ich denke, wenn das Kennenlernen und das Verstehenwollen ohne Besserwisserei im Vordergrund steht, kann es gut sein. Und ich glaube, dass ist unserer Reise gelungen.

Vielen Dank Raimund, Reinhold, Florian, Brunhild, Sylvia, Ingrid, Giovanna, Enzo, Frank, Klaus, Margret, Katja und natürlich Gerda!!! für die vielen guten Gespräche, das Jodeln, die Geburtstagsüberraschungsparty und die tolle Wandererfahrung, die wir miteinander teilen konnten. Und vielen, vielen Dank an dich Luca, der  du uns mit unglaublicher Souveränität und Kenntnis und gleichzeitig  mit bewundernswerter Sensibilität für Land und Leute geführt hast und mir nicht nur eine Reise in eine unbekannt äußere Welt, sondern auch eine Reise nach innen ermöglicht hast.

Sri Lanka, 26. Januar – 11. März 2024

Colombo, 26. – 30. Januar 2024

27. Januar

wir wollten auch mal im Winter Sommerurlaub machen – schließlich müssen wir ja nicht mehr zur Schule – und nach einigen paartherapeutischen Diskussionen haben Bernd und ich uns auf Sri Lanka geeinigt.

Unsere Unterkunft in Colombo – ein botanischer Garten

Und nun sitze ich hier in unserer ersten wunderschönen Unterkunft in Colombo und knapp 7 Wochen Sri Lanka liegen vor uns – ganz schön aufregend und ungewohnt, sich aus seiner Komfortzone zu begeben und in der Fremde neu zu orientieren und zu organisieren.

So haben wir uns auch gleich am ersten Tag wie die absoluten Touristentölpel übers Ohr, eher gesagt über beide Ohren, hauen lassen. Wir müssen wohl immer recht hilflos ausgesehen haben, weil plötzlich wie aus dem Erdboden hilfsbereite Geister auftauchten, uns ein Tuktuk heranwinkten und sich gemeinsam mit uns auf Fahrt begaben.

Mit Roshan vor einem sehr großen Buddha

und vorm ‚Weißen Haus‘

Der erste Mann namens Roshan, ein Seefahrer, der natürlich auf seinen Reisen auch in Deutschland war und auch ein bisschen Deutsch sprach, freute sich total, dass er so ein Glück hatte, Deutsche zu treffen und wollte uns unbedingt seine Stadt zeigen – er hatte gerade noch etwas Zeit. Wir haben auch wirklich viel gesehen, was wir allein nicht so schnell geschafft hätten und er war auch sehr nett und konnte viel erklären.

Sehr eindrucksvoll: der Gangaramaya Tempel, einer der wohl bedeutendsten buddhistischen Tempel in Colombo, der an diesem Tag von vielen Gläubigen besucht wurde, denn es war Vollmond. Und das wird in jedem Monat groß gefeiert. Neben vielen kostbaren Buddhastatuen und anderen Kostbarkeiten, ist eine der großen Attraktionen des Tempels ein Haar von Buddha.

Gangaramaya Tempel

Weitere Stationen auf unserer Tour waren: das ‚Weiße Haus‘ (das Rathaus), die Independence Hall (Sri Lanka ist seit 1948 unabhängig von England), eine riesige Buddhastatue und – wie kann es anders sein – eine Edelsteinschleiferei, denn Sri Lanka ist berühmt für seine Saphire. Und natürlich kaufe ich in einem Anfall von geistiger Benebelung hervorgerufen durch geschickte Verkäuferstrategie einen kleinen sauteuren Edelstein für einen etwas abgewetzten Ring. Naja, meistens habe ich mich zum Schluss dann doch über diese Touristenfallenkäufe gefreut. Bringt ja auch nichts, sich zu ärgern.

Aber geärgert habe ich mich schon über den Preis, den der Tuktukfahrer verlangt hat: 15.000 LKR (Sri Lanka Rupien), und unser Freund Roshan wollte auch noch 5.000 – das sind 58,- €. Gut, wenn wir eine professionelle Tour gebucht hätten, hätten wir ähnlich viel bezahlt, aber ich hätte halt vorher gern gewusst, worauf ich mich einlasse.

Noch mehr geärgert habe ich mich über den zweiten hilfsbereiten Geist: Wir brauchten eine Sim-Karte für Sri Lanka und das muss man uns angesehen haben, denn sofort winkte ein Mann ein Tuktuk herbei und fuhr mit uns zu einem Laden. Dort kauften wir Sim-Karten, die mit Hilfe seines Ausweises aktiviert wurden. Als wir zurück zum Hotel wollten, setzte er sich wieder zu uns ins Tuktuk und fuhr mit. Haben die Leute nichts zu tun??? Er wollte schließlich 5.000 für seine Dienstleistung und der Fahrer auch 5.000 (29,- €). Ich bin eigentlich nicht knickerig, aber ich finde es blöd, wenn ich nicht vorher weiß, was was kostet. Und laut unser Landlady hat man uns wirklich abgezogen. Sie sagt eine Fahrt innerhalb Colombos sollte nicht mehr als 1.000 LKR kosten. Ich habe jetzt die Uber-App installiert.

So, nachdem ich mich jetzt genug aufgeregt habe, zum Schönen:

Unser Hotel ist das Highbury Colombo: Hinter einer angerosteten Eisenschiebetür tut sich eine kleine Oase auf – unglaublich üppiges Grün und prachtvolle exotische Blüten, die man bei uns nur im Botanischen Garten zu sehen bekommt. Das Hotel ist auch total geschmackvoll eingerichtet, um einen Lichthof mit Buddha erstreckt sich der Aufenthaltsraum eingerichtet mit antiken Holzmöbeln und Kunst. Ein Ort zum Wohlfühlen.

Aufenthalts- und Frühstücksraum

Das Viertel Havelock Town ist ruhig und sehr grün. Hier scheint die wohlbetuchte Mittelschicht zu wohnen. Das sieht man auch, wenn man ins Restaurant geht. Leute kommen mit großen Autos, manche mit Chauffeur, die Autos werden auf dem Parkplatz von einem uniformieren Parkwächter bewacht.

Und natürlich gibt es auch freundliche Menschen, die einen nicht übers Ohr hauen wollen. Als wir gestern ein Kricket-Spiel durch den Zaun beobachtet haben, hat man Bernd gleich ein kaltes Bier überreicht.

Freibier in Colombo

Schön ist auch die Ruhe und Sauberkeit in den buddhistischen Tempeln. Am Sonntag spielen hübsch angezogene Kinder im Garten. Sie haben Sonntagsschule. Überhaupt macht die Stadt einen sehr sauberen Eindruck (ich muss oft an den Dreck in indischen Städten denken). Vor dem Betreten eines Tempels oder eines Hauses werden selbstverständlich die Schuhe ausgezogen und überall gibt es Wasserhähne, unter denen man Hände und Füße waschen kann. Es gibt sogar überall Schilder, dass man seinen Hundedreck wegmachen soll.

Sonntagsschule

29. Januar

Und heute ist alles noch viel schöner.

Bernd hat Geburtstag, er hat einen kleinen Geburtstagtisch bekommen, wie haben schön gefrühstückt, dann beim AAC (Automile Association of Ceylon) einen srilankesischen Führerschein beantragt und auch gleich bekommen und dann meinen wie neu blankgeputzten Ring mit Edelstein abgeholt, unsere Sim-Karten funktionieren und unser Tuktukfahrer Rohan hat den normalen Preis genommen und bringt uns heute Abend ins Gallery Café zu einem romantischen Abendessen und vielleicht zeigt er uns dann ja noch, wie man Tuktuk fährt.

Alungada, 30. Januar – 5. Februar

Da ich schon nun schon 4 Follower habe, bin ich total motiviert weiter zu berichten.

Seit vorvorgestern sind wir ‚in the middle of nowhere‘. Außer unserem Hotel mit dem exotischen Namen ‚Dune Towers‘ ist hier einfach mal gar nichts. Nada. Niente. Das wollten wir ja eigentlich auch so nach ganz viel Stadt. Wir wollten ans Meer, chillen am Strand mit einem Drink in der Hand. Aber das Meer ist hinter einer großen Düne. (Komisch – sah bei booking.com ganz anders aus). Und am Strand ist wie gesagt – nix. Dafür gibt es wunderschöne Sonnenuntergänge.

Gestern sind wir eineinhalb Stunden am Strand in eine Richtung gelaufen in der Hoffnung auf irgendeine kleine Bar mit Schatten. Aber da waren nur ein paar zerfallene Palmenhütten und vor sich hin rostende Fischerboote. Ein Uniformierter, der plötzlich da war, sagte, dass viele Strandbars mit Corona aufgegeben haben. Ich kann mir vorstellen, dass es für die Leute hier kaum Unterstützung gab. Ein Resort, das ‚Dolphin Beach Resort‘, hatte ein paar Besucher, aber es wirkte so traurig, dass wir da auch nicht hinwollten.

Auf dem Rückweg durchs Dorf haben wir uns dann ziemlich verfranst. Unter Palmen verstreut mehr oder weniger gut ausgebaute Häuser, Felder, bisschen Müll, aber kein Laden, kein Restaurant und die Sandstraßen versanden irgendwann, ohne dass wir ans Meer zurückommen – Die Stimmung ist etwas angespannt.

Zum Glück sind wir nicht allein am Ende der Welt. Wir haben Gabriela und Wladimir aus der Tschechischen Republik getroffen und mit ihnen heute eine Delphin- Tour gemacht. Und heute abend haben wir eine kleine Rooftop Party mit Salsa und Tango geplant.

Okay, man erkennt die Delfine hier nicht so gut, aber es waren ganz schön viele, bloß waren sie immer weg, wenn ich ein Foto gemacht habe.

Wenn man sonst irgendwo hinwill, braucht man ein Tuktuk, der nächste Geldautomat ist 7 km weg. Vorgestern waren wir mit dem Tuktuk in einem Kiter-Camp, wo wir auf der Suche nach unserer zweiten Unterkunft extra nicht hinwollten, weil wir dachten, es sei da zu laut und die jungen Leute würden nur Party machen. Es war genau das, was wir eigentlich wollten: Hütten, Liegestühle, Bar am Strand und alles ganz ruhig – naja, beim nächsten Mal.

Gut gefällt mir die Gelassenheit, mit der die Leute hier mit Religion umgehen. In der Umgebung sieht man viele katholische Kirchlein oder Altäre – besonders die Hl. Anna, die Mutter Marias, wird hier sehr verehrt. Genauso hört man regelmäßig den Gebetsruf der Muezzine. Und natürlich gibt es Buddhastatuen und Hindutempel.

Sehr kurios zeigte sich dieses religiöse Mischmasch auf unserer Reise in einem lokalen Bus von Colombo zu unserer zweiten Station:

Hinter einer Trennwand, die den Busfahrer von den Passagieren trennt und die immer für religiöse Würdenträger vorbehalten ist, sitzen zwei kahlgeschorene buddhistische Mönche, die während der ganzen Fahrt auf ein Großportät der Mutter Maria mit Jesuskind gucken. Die Windschutzscheiibe ist oberhalb und an den seiten mit der Darstellung des segnenden Christus verziert Auf dem Armaturenbrett, das mit buntem Kitsch und Deckchen dekoriert ist, haben ein kleiner, dicker Buddha und ein hinduistischer Elefantengott (Ganesha) Platz genommen. Ganesha bekommt ab und zu ein paar kleine Scheine zugesteckt. Davor seht ein frischer Blumenstrauß von lila Seerosen, den der Busschaffner ständig mit Wasser einsprüht. Dann, auf der Hälfte der Fahrt, nimmt er plötzlich den Strauß aus der Vase und schmeißt ihn aus der offenen Tür in den Fluss. Beim nächsten Stopp kauft er einen neuen, drapiert ihn sorgfältig vor den Figuren und das Schauspiel beginnt von vorn Das war mal eine wirklich unterhaltsame Busfahrt.

Aber dann wurden wir plötzlich an einer Straßenecke rausgeschmissen und wir mussten unsere Fahrt mit einem Tuktuk fortsetzen, bei dem Bernd unterwegs Pannenhilfe leisten musste.

Ich liebe es, mit den lokalen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein.

Heute nachmittag hab ich mal ein kleines Spaziergänglein ums Haus gemacht. Auch wenn man meint hier ist nichts, hier leben Menschen und die betreiben, wo es nur geht Landwirtschaft, meistens in Handarbeit. Es werden Gurken, Tomaten, rote Beete und manches mehr, was ich nicht erkennen kann, angebaut, meistens unter Kokosnusspalmen. Ein Landarbeiter winkt mich heran und erklärt mir, dass man ständig wässern muss und düngen, denn der Boden besteht überwiegend aus Sand. Er schenkt mit eine Frucht. Ich glaube es ist eine Maracuja, aber ich muss sie erst mal aufschneiden.

So, jetzt gehen wir an den Strand. Mal sehen, was da heute so los ist.

Anuradhapura, 5. – 8. Februar

Und jetzt sitzen wir wir in Anuradhapura (A -nu – ra – dha – pu -ra – Es hat ein bisschen gedauert, bis wir die Silben in der richtigen Reihenfolge aufsagen konnten) vor unserer kleinen, etwas abgeranzten Unterkunft neben einer lauten Durchgangsstraße und warten auf die Weiterfahrt nach Tricomalee an der Ostküste (erst Tuktuk, dann Bus).

Noch ein paar rückblickende Bemerkungen zu Dune Towers in Alankuda:

Wenn um einen herum so gar nichts los ist, hat man doch spannende Begegnungen. Nach Dune Towers verirrten sich außer Wladimir und Gabriela noch Mutter und Tochter aus Saló am Gardasee, ein total tätowiertes Pärchen aus London und ein etwas älteres Paar aus einem Ort in der Nähe von Heidelberg. Da wir immer alle gemeinsam unter einem Moskitonetz frühstückten, kam es zu interessanten Gesprächen. Ich denke, dies ist auch ein wichtiger Aspekt einer selbst gemachten Reise. Man trifft andere Reisende, erhält nützliche Reisetipps, kommt aber auch aus seiner Blase, und erfährt, was andere Menschen so denken und fühlen.

Bettina und Heinz, das deutsche Paar, reisen 4 Wochen mit einem gemieteten Tuktuk durch Sri Lanka. Sie nehmen uns zur nächsten ATM mit und zum Strand. Auf dem Rückweg kommen wir an einem Dorffest vorbei. Ein freundlicher Einheimischer erklärt uns, dass der Unabhängigkeitstag gefeiert wird. Für die Männer gibt es ein Radrennen, für die ganz Kleinen ein Spiel, das ich nicht so ganz verstehe, die älteren Kinder hüpfen in Säcken um die Wette und die Frauen messen sich im Palmwedelflechten. Alle sind gut drauf. Wir auch.

Dorffest in Alankuda

Nach einer weiteren exotischen Busfahrt, stehend mit viel Körperkontakt, sind wir in Anuradhapura und wieder auf uns selbst zurückgeworfen. Die Stadt besteht aus zwei Teilen: der New Town und der Sacred City, wegen der viele Touristen – insbesondere buddhistische – die Stadt besuchen. Anuradhapura wurde schon 600 v. Chr. gegründet und war ursprünglich die Hauptstadt von Sri Lanka. Die Stadt war Sitz mehrerer Königsdynastien und buddhistisches Zentrum, weil es hier einen Ableger des Bodhibaums gibt, der Pappelfeige, unter der Buddha in Nordindien einst erleuchtet wurde. Irgendwann nach Chr. wurde die Stadt von einem indischen König erobert, dann wurde sie verlassen und dem Dschungel überlassen. Ein Engländer entdeckte sie wieder und damit begannen die Ausgrabungen und Restaurierungen der Sacred City, die zum UNESCO Kulturerbe zählt. Soweit ein sehr, sehr kurzer geschichtlicher Abriss.

Pilger am Bodhibaum

Die Überreste der Residenz, Klosteranlagen und restaurierte Stupas sowie Museen sind über ein weites durch landwirtschaftliche Flächen unterbrochenes Areal verteilt. Wir besuchen die Heilige Stadt mit dem Fahrrad, radeln vorbei an großen und kleinen Seen, durch sattes, sanftes Grün, auf dem hier und da Kühe oder Wasserbüffel grasen, drumherum die weißen Tupfen der Kuhreiher. Durch die verstreuten Bäume toben Affen und in der Ferne ragen weiße Stupakuppeln aus der Landschaft.

Überall trifft man auf weißgekleidete Pilger. Alle heiligen Stätten sind barfuß und respektvoll bekleidet zu betreten, es herrscht eine intensiv andachtsvolle Atmosphäre. Besonders viele Pilger besuchen den Bodhibaum und die große, weiße Stupa – angeblich die höchste der Welt. Ich frage mich, was da drin ist in den vielen weißen Stupas. Für ein Haar oder einen Zahn von Buddha ist das doch viel umbauter leerer Raum.

Die Buddhisten stellen sich diese Frage nicht. Sie bringen Blumen und Gewürztabletts als Opfergaben, die irgendwann von Helfern abgeräumt und in großen Mülleimern entsorgt werden. Ich frage mich auch, woher diese Massen an Blumen kommen.

Bernd und ich lesen über den Buddhismus nach. Wir finden es schwierig, die auf uns eher erduldende und in sich gekehrt wirkende Haltung zur Welt nachzuvollziehen, aber wir haben uns bisher viel zu oberflächlich damit beschäftigt.

Mihintale – Ausgrabungsstätte eines alten buddhistischen Klosters, zu dem ungefähr 1800 Stufen führen

In der New Town findet das Leben statt. Sie ist nicht besonders hübsch. Es gibt ein paar große Durchgangsstraßen mit Geschäften, die auf uns einen etwas zusammengefrickelt Eindruck machen – Garagenöffnungen mit Waren und darüber große Werbeschilder. Plastikplanen und Wellblech sind beliebte Materialien. Überall am Straßenrand auch kleine, wackelige Verkaufsstände, die Obst, Lotterielose oder LED-Birnen anbieten. Dazwischen Sandstraßen, an denen unter Palmen und Wildwuchs einfache Wohnhäuschen stehen. Es gibt scheinbar keine Orte, an denen man sich gemütlich niederlassen kann. Wenn man in angenehmer Atmosphäre ein Bier trinken will, muss man in eines der sehr exklusiven Resorts gehen. Das tun wir auch und trinken im Mirydia Lake Resort jeden Abend ein Lion Bier.

Unsere Stammkneipe in Anuradhapura

Tricomalee, 8. – 10. Februar

Wir wollten eigentlich etwas länger bleiben – in Reiseblogs fanden alle diesen Ort ganz toll. Wir nicht. Unsere Unterkunft lag außerhalb der Stadt in einem mülligen Wellblechviertel und der Strand war sehr, sehr dreckig. Deshalb kein Foto.

Wir mieten uns einen Scooter und treiben uns ein bisschen in der Stadt rum. Auf einer kleinen Halbinsel findet man die Überreste eines portugiesischen Forts, das heute vom Militär genutzt wird. Wenn man zum äußersten Zipfel hochläuft, kommt man zum Koneshwaram Tempel, einst einer der berühmtesten Shiva-Tempels ganz Asiens. Die Portugiesen haben ihn 1622 geplündert und zerstört und an seine Stelle das Fort ‚Frederick‘ gebaut. Unter den Holländern durfte das Areal nicht mehr für religiöse Zeremonien genutzt werden. Erst unter den Engländern (ab 1782) konnten Pilger wieder kommen, ab 1950 wurde der Tempel wieder aufgebaut und erst 2018 die große Shivafigur vor dem Tempel wiederhergestellt. Ich finde sie ziemlich hässlich.

Der Tempel liegt auf einem Felsvorsprung hoch über dem Meer, und wenn man in den Felsen ein bisschen rumklettert, trifft man in den Nischen auf bunte Götterfiguren. Das ist ein schöner Kontrast. Hinter dem Tempel haben kinderlose Paare kleine symbolische Kinderbettchen aufgehängt – sie wünschen sich Nachwuchs.

Insgesamt bleibt mir die hinduistische Götterwelt ziemlich fremd. Das ist mir schon in Indien aufgefallen. Die Darstellungen der Götter empfinde ich oft als kindlich und kitschig, mitunter aber auch als drastisch. Zurück in der Stadt besuchen wir einen Hindutempel, total überladen mit Figuren und monsterähnlichen Gestalten, die einem Albtraum entsprung scheinen.

Ausschnitt der Deckenfiguren im Hindutempel in Trincomalee – ein Albtraum

Sigiriya, 10. – 13. Februar

Nach dreckigem Strand und verstörenden Hindugöttern ist alles wieder schön. Wir sind in Sigirya, einem der Höhepunkte jeder Sri Lanka Reise. Das wollten wir natürlich auch hin.

Lion’s Rock

Dies ist der sogenannte Lion‘s Rock, ein Monolith, der wie aus dem Nichts aus der Landschaft hervorragt. Wenn man den saftigen Eintrittspreis bezahlt hat, kann man ihn über viele, viele Treppenstufen erklimmen und findet die Überreste einer Festung und einer buddhistischen Klosteranlage vor. Der Felsen gehört zum Weltkulturerbe (schon das zweite auf unserer Reise) und wegen ihm kommen viele Touristen und Pilger nach Sigirya.

Wir nehmen die günstigere Variante, den Pidurangala Monolithen, der fast genauso hoch ist wie der Lion‘s Rock und in unmittelbarer Nachbarschaft steht. Von hier aus kann man wunderbar auf den Lion‘s Rock gucken, vorzugsweise bei Sonnenaufgang. So machen wir uns morgens um fünf Uhr mit dem Tuktuk auf den Weg und freuen uns auf ein romantisches Erlebnis. Aber als wir am Eingang sind – Überraschung -, sind da schon ganz viele junge Leute aus aller Welt, die ununterbrochen fröhlich schnatternd mit uns im Dunkeln den Felsen hochkraxeln. Oben muss man schon nach einem freien Plätzchen mit guter Sicht suchen, es herrscht gedämpftes Geplapper und gespannte Erwartung. Die Sonne lässt lange auf sich warten und taucht endlich etwas unausgeschlafen und schüchtern auf.

Das größere Highlight war für mich der Besuch des Höhlentempels in Dambulla. Unter einem riesigen Felsenvorsprung gibt es mehrere Kammern mit buddhistischen Tempeln, die ihren Ursprung vor 2000 Jahren haben und im Laufe der Zeit immer weiter ausgeschmückt und restauriert wurden. Die verschiedenen Buddhafiguren, stehend, sitzend und liegend, und insbesondere die Deckenbemalungen sind von beeindruckender Schönheit. Ich habe in Sri Lanka bislang noch nicht so schöne Tempel geseen und bin froh, dass wir da waren.

Felsentempel in Dambulla

Morgen verlassen wir unser nettes kleines Homestay und ziehen weiter zu den Teeplantagen von Kandy.

Enouki, die süße kleine Tochter des Hauses, ist neugierig und findet Besucher total spannend.

Kandy, 13. -15 Februar

Wir wohnen in einer Unterkunft an einer der Hauptstraßen Kandys – man findet kaum das Schild des Guesthouses. Als die Tür aufgeht, befinden wir uns plötzlich in einer anderen Welt, einer Welt, die stehengeblieben scheint. Uns begrüßt eine ältere feine Dame im Sari, die uns in fließendem Englisch die Geschichte des Hauses erzählt. Das Haus ist über 200 Jahre alt und gehörte einer einst wohlhabenden und politisch einflussreichen Familie. Davon zeugen die viele Fotos an den Wänden, die die Mitglieder der Generationen in verschieden Konstellationen zeigen, Porträts von Hochzeitspaaren mit Gästen in feierlichen Gewändern, Einzelporträts von Frauen, Männern und Kindern und auch Fotos von Sportmannschaften – alle schon etwas vergilbt.

Die Wohnräume sind dunkel und mit antiken Möbeln ausgestattet – alles wirkt etwas museal und angestaubt. Jetzt wohnt in dem Haus nur noch die Besitzerin, die aber gerade im Krankenhaus ist, weil sie den Abend zuvor gestützt ist. Daher werden wir von ihrer Schwester empfangen. Sie erzählt uns, dass die junge Generation erfolgreiche Berufe ergriffen und ausgewandert ist, ihre Kinder nach England und Singapur, die ihrer Schwester nach Australien.

Ich kann das gut verstehen: In diesem düsteren Haus, eingeklemmt zwischen Bahngleise und Hauptstraße, erstickt man. Was wir über die Geschichte der Familie erfahren, ist total interessant, aber es ist uns auch klar, dass die alte Besitzerin wahrscheinlich die letzte der Familie sein wird, die in diesem Haus lebt. Ein paar Jahre wird sie noch die ziemlich abgeranzten Zimmer vermieten, aber sie wird nichts mehr investieren, die Kinder kommen nicht zurück, das Haus hat keine Zukunft.

Dies scheint ein Problem des ganzen Landes zu sein: Die jungen Leute gehen weg. Unterwegs treffen wir auf einen älteren Herrn, der uns in etwas holprigem Deutsch mit schweizer Dialekt anspricht und in 15 Minuten seine ganze Lebensgeschichte erzählt: Er ist hier aufgewachsen, hat sich in ein Mädchen aus einer reicheren Familie verliebt, die er aufgrund des Standesunterschieds nicht heiraten durfte. Daher ist er in die Schweiz gegangen, um dort Geld und Prestige zu erwerben. Über Briefe hielt er Kontakt zu seiner Angebeteten. Als er nach Jahren wiederkommt und um ihre Hand anhält, wird er vom Vater wieder abgewiesen. So ist er zurück in die Schweiz gegangen und hat dort ein uneheliches Kind mit einer Frau aus Basel. Er erklärt uns auch, warum es in Sri Lanka nicht vorangeht: Verhaftetsein in Tradition, Restriktionen durch die Familie und soziale Kasten und Korruption und Cliquenwirtschaft auf Regierungsebene. Die europäische bzw. schweizerische Lebensweise findet er jedoch auch schwierig: Die Menschen gehen sehr planvoll vor und arbeitet viel, aber haben keine Zeit, miteinander zu leben und zu feiern.

Blick auf Lake Kandy

Mir hat Kandy eigentlich ganz gut gefallen. Auch wenn die Stadt fürchterlich laut ist und man in den Abgasen fast erstickt, wirkt die Stadt jung, offen und quicklebendig. Es gibt viele Geschäfte, Märkte und morgens und nach Schulschluss wimmelt die ganze Stadt voll von weißgekleideten Schulkindern. Die vielen Touristen fallen nicht so auf. Sie kommen, weil sie unbedingt einen Zahn von Buddha sehen wollen. Aber wir ersparen uns diesmal einen Tempelbesuch, sondern gehen lieber in eine touristische Tanzveranstaltung, in der srilankesische rituelle Tänze dargeboten werden. Danach begießen wir den Valentinstag mit einem Bier in einem Restaurant mit Aussicht auf den See.

Prost Mecki!

Ella, 15. – 18. Februar

Touristen sind eine Pest – und wir gehören dazu. Es kommt mir so vor, als läuft man durch dieses Land auf einer Schiene mit allen anderen Touristen: Anuradhapura, Tricomalee, Sigirya, Kandy, Ella. Wenn man sich mit anderen Reisenden austauscht, haben alle mehr oder weniger dasselbe gemacht. Aber Ella ist richtig schlimm. Schon der Zug von Kandy nach Ella – alle wollen natürlich die berühmte Zugstrecken durch die Berge und Teeplantagen fahren – ist voll mit Touristen von überall her. Sehr viele Chinesen, Osteuropäer, Russen. Uns gegenüber sitzt eine deutsche Familie, die so dick ist, dass sie zu dritt fast alle 6 Plätze einnehmen. Die Deutschen im Ausland machen meistens keine so gute Figur.

Bahnhof Kandy

Die Zugfahrt dauert so 7 Stunden und als wir nachmittags in Ella ankommen, erschlägt uns der Rummel fast. Gut, wir wussten, dass Ella beliebt ist, aber Ella ist komplett von den Touristen übernommen. Von jungen, coolen Travellern, die überall in den Bars, Cafés und Restaurants rumhängen, bei lauter Musik chillen und im Internet surfen. Der ganze Ort eine einzige Partyzone. Der Kleidungsstil ist betont lässig bei den Jungs, die Mädchen tragen vorzugsweise knappe Bustiers und hautenge kurze Hosen. Die Dorfbewohner haben sich ganz in den Dienst der Touristen begeben, bedienen sie und kutschieren sie umher.

Nachtleben in Ella

Ich fühle mich in meiner Rolle zunehmend unwohl, denn ich habe das Geld, wegen dem man mich hinten und vorne bedient und mir die Koffer hochträgt. Als sich Teepflückerinnen mit mir für ein paar Rupien fotografieren lassen wollen, schäme ich mich fast. Aber Tourismus ist eben auch ihr Geschäft und wenn man das nicht ertragen kann, darf man wohl nicht in Länder fahren, wo der Lebensstandard so niedrig ist. Auf der anderen Seite kann ich auch nicht aus meiner Haut und finde die oft dunklen, etwas schmuddelig wirkenden Hotelzimmer mit nicht funktionierenden Badezimmern auf Dauer anstrengend.

Unsere Hotelbesitzerin sieht den Tourismus in Ella auch zwiespältig. Sie sagt, früher hätte Ella ‚the sleepy village‘ geheißen, jetzt findet sie es schon traurig, dass das Dorf seinen Charakter verloren hat. Aber sie weiß auch, dass die Touristen das Geld bringen und dass sie seit Corona zum ersten Mal wieder Einnahmen machen. Außer den Impfungen hat der Staat keine Hilfen zur Verfügung gestellt.

Ich frage mich, warum die Touristen alle wie die Ameisen immer derselben Ameisenstraße folgen. Bestimmt könnte man sich auch davon lösen und an Orte fahren, wo keine Touristen sind. Aber dann ist da eben auch wirklich nichts, keine Restaurants, keine Unterkünfte. Und einfach so im Wald rumlaufen kann man hier auch nicht. Man ist schon auf ein bisschen Infrastruktur angewiesen.

Wahrzeichen von Ella: die Nine Arches Bridge

Am ersten Tag erwandern wir – natürlich mit vielen Mitwanderern – die ‚Nine Arches Bridge‘ und den ‚Little Adam‘s Peak‘, einen Berg mit schöner Aussicht. Am nächsten Tag leihen wir uns einen Scooter, denn wir wollen die Wiege des Ceylon-Tees besuchen, den ‚Lipton‘s Seat‘. Aber wir verfransen uns total. Bei den vielen Kurven spielt das Navi verrückt und wir landen in den Straßen, die nach Auskunft von Einheimischen unpassierbar sind. Nach mehreren Stunden geben wir die Suche auf und fahren zurück. Es war trotzdem eine tolle Tour durch wunderschöne, hügelige Teeplantagen und kleine Dörfer, in die sich keine Touristen verlaufen.

Teeplantagen bei Ella

Dikwella, 18. – 22. Februar

Wir haben beide einen fetten Sonnenbrand.

Als wir vor drei Tagen hier ankamen hatten wir beide eine fette Erkältung. Wir waren erschöpft – vom Touristenrambazamba in Ella, vom dauernden Aus- und Einpacken, von den dunklen, kleinen schmuddeligen Unterkünften und von der Erkältung. Was für eine Erleichterung, als wir dann die Tür zum unserem Hotelzimmer hier in Dikwella öffnen: das Zimmer ist groß, hell, sauber, der Spülkasten vom Klo funktioniert und es gibt einen großen Balkon mit Meerblick.

Wir entscheiden uns gleich, länger als die zwei gebuchten Nächte zu bleiben. Gut, einmal mussten wir noch innerhalb des Hotels in ein anderes ganz klein bisschen weniger schönes Zimmer umziehen. Dafür haben wir aber vom Hotelmanager, einem Ayurveda-Therapeuten beide umsonst eine Fußmassage bekommen. Bernd hat dann gleich am nächsten Tag noch eine Rückenmassage gebucht.

Ansonsten machen wir hier fast nichts – gehen einmal rechts den Strand entlang und testen ein paar Strandlokale, dann links den Strand entlang und testen ein paar Strandbars, hüpfen auch mal ins Meer, das hier eine ganz schön starke Brandung hat. (Ich muss oft an den Tsunami von 2004 denken, der an der Ost- und Südküste Sri Lankas über 30000 Tote gefordert hat.) Wir schöpfen Kraft für unsere nächste Unternehmung: den Udawalawe-Nationalpark. Ich will endlich mal ein paar Elefanten sehen.

oben: Blick aus unserem Fenster, unten: Strand rechts entlang – Strand links entlang

Noch eine kurze Bemerkung zu den deutschen Touristen, die ja in meinem letzten Eintrag ziemlich schlecht weggekommen sind. Die Rückmeldung von srilankesischen Gastgebern zu deutschen Touristen sind durchweg positiv: sie seien freundlich, zurückhaltend und vor allen Dingen zuverlässig. Die meisten Unterkünfte hier arbeiten nicht mit Kreditkarten. Daher können sie Buchungen auch nicht über Kreditkarten absichern und es scheint normal, dass Leute ein Zimmer buchen und dann einfach nicht kommen. Das ist für die Gastgeber besonders ärgerlich, wenn sie Nachfragen für den Tag abweisen, weil sie die Zimmer ja schon vergeben haben. So passiert bei unserer Gastgeberin in Ella. Angeblich kommt das bei deutschen Touristen nicht so häufig vor.

Sehr beeindruckt hat mich ein Gespräch während der Busfahrt von Ella nach Dikwella mit einem Fischer hier aus der Gegend. Es sagt, dass er die Deutschen mag und sich sehr für das Land interessiert. Er sagt, die Deutschen seien ‚humble‘. Er hat vor 20 Jahren durch den Tsunami seine Existenz verloren und eine deutsche NGO hat ihm geholfen und für ein neues Boot gesorgt. Seit dem ist er ein Fan der Deutschen und ewig dankbar. Er kannte sich wirklich gut aus mit Politik und wollte meine Meinung wissen zu allem, was gerade in der Welt passiert: Russland/Ukraine, Israel/Gaza, Nordstream 1 und 2 und ganz aktuell: Nawalny…. Seine Ansichten fand ich ganz schön quer, meinte er doch, hinter allem stecke die CIA. Trotzdem hat mich seine Meinung über die Deutschen irgendwie gefreut.

Udawalawe, 22. – 24. Februar

Busfahren in Sri Lanka

Busfahren in Sri Lanka macht total Spaß.

1. Es gibt unglaublich viel zu sehen und zu erleben.
Schon von außen sind die Busse spektakulär. Schrille Designs meist in swimmingpool- oder babyhellblau, auch in bonbonrosa verschönern die altersmaroden Gefährte der Marke Ashok Leyland. Sie fahren wie die Henker, aller entgegenkommender Verkehr spritzt auseinander. Manchmal bleiben sie aber auch liegen. Dann müssen alle Leure aussteigen und auf den nächsten Bus warten, der aber schon so voll ist, dass man da dann auch nicht mitkommt. Hat man es dann auf einen anderen Bus geschafft, wird noch mal abkassiert.

Über die liebevolle Innendekoration von Armaturenbrett und Windschutzscheibe habe ich ja bereits berichtet.

Interessant zu beobachten sind auch die Mitreisenden: An keinem Ort kommt man so auf Tuchfühlung mit der lokalen Bevölkerung wie im Bus. Man sieht Mütter mit ihren kleinen Kindern, die einen immer neugierig anlächeln. Alte Männer in Sarong und Oberhemd, junge, Bethelnuss kauende Männer mit roten Zähnen in Jeans und Schulkinder in ihrer weißen Schulkleidung. Auch steigen an den Busbahnhöfen fliegende Händler ein, die allerlei feilbieten: kleine Teigtaschen, Nüsse, Obst, Wasser, Lose… Und egal wie voll der Bus ist, wie hautnah man sich zum Ausgang schlängeln muss, alle bleiben höflich und freundlich, nie hört man einen aggressiven Ton.

Und dann sieht man natürlich die Orte mit ihren Häusern, Behausungen, Buden und Bretterverschlägen und wackeligen Verkaufsständen – dazwischen viel Müll – und die vorbeiziehende Landschaft: dschungeliges Dickicht, Reisfelder in allen Grünschattierungen, Palmen- und Bananenhaine, schmuddeliges Lagunenwasser. Und das alles untermalt von ohrenbetörenden Sri Lanka Pop.

2. An heißen Tagen – und hier ist es ja immer heiß – sind die Busse der erfrischendste Ort, an dem man sich aufhalten kann. Alle Fenster und Türen sind offen und es weht einem immer ein kühlendes Lüftchen um die Ohren.

3. Busfahren in Sri Lanka ist unschlagbar billig. Für eine 3-stündige Busfahrt haben wir zusammen meist nicht mehr als umgerechnet 3,- € bezahlt. Und man kann ein- und aussteigen, wo man will, wenn man sich rechtzeitig bemerkbar macht. In jeder Stadt gibt es größere Busbahnhöfe, man kommt fast überall hin, wenn man es geschafft hat, sich zum richtigen Bus durchzufragen. Aber man trifft immer hilfsbereite Menschen, die einen lotsen.

Nationalpark Udawalawe

Wir fahren noch vor Sonnenaufgang los. Als wir im Nationalpark ankommen, wird es gerade hell und es liegt eine schöne, friedvolle Stimmung über dem Buschland. Alles ist frisch, denn am Abend vorher hat es geregnet. Die Geräusche, insbesondere die Vogelstimmen, sind sehr intensiv und man glaubt eine Vorstellung davon zu bekommen, wie es auf der Erde ohne Menschen aussehen könnte. Wären da nur nicht die anderen 100 Jeeps mit Safaritouristen.

Ein Pfau lässt seine langen Schwanzfedern trocknen, weil es am Abend vorher stark geregnet hat.

Ja, wir haben Elefanten gesehen: große und kleine, Mütter mit Kindern und männliche Einzelgänger. Sie haben sich an den Jeeps nicht weiter gestört. Was haben wir noch gesehen? Wasserbüffel, Mungos und Affen und tolle Vögel: Kingfisher und Beeeater mit neongrünem Gefieder. Und natürlich Pfauen, viele, viele Pfauen, aber die gab es auch zu großer Zahl außerhalb des Nationalparks.

Dickwella, 24. – 26. Februar

Nach 2 Nächten am Nationalpark sind wir zurück in unserem Hotel in Dickwella, wo wir unsere Koffer gelassen hatten.

Bernd hat inzwischen Malässen mit seinen Füßen: 2 entzündete Zehen, mit denen er gegen einen Bettpfosten gebrackert war und die sich durch die Fußmassage verschlimmert haben, und offene Stellen zwischen den Zehen durchs Flipflop tragen. Ich leide unter Mückenstichen. Bernds srilankesische SIM-Karte funktioniert nicht, obwohl wir sie aufgeladen haben. Ich habe keine Lust mehr auf Reis und Curry. Wir sind seit mehr als 4 Wochen 24/7 zusammen und uns geht langsam der Gesprächsstoff aus. Aber egal, mal gucken, wie es am nächsten Beach bei Galle ist.

Boossa, 26. – 28. Februar
Mirissa, 28. Februar – 3. März

Nachdem unsere letzte Unterkunft in Boossa – Meerblick durch 2 geschlossene, nicht zu öffnende Scheiben, kein Balkon – mal wieder eine Niete war, sind wir jetzt an unserem Traumort gelandet. Wir haben das schönste Zimmer im Hotel mit Balkon und ‚direct seaview‘ auf eine kleine, malerische Bucht mit Palmen, Sandstrand und Fischerbooten, die sogar morgens und abends zum Fischen raus fahren.

Blick vom Balkon

Die traditionellen Fischerboote haben einen kleinen Ausleger an der Seidt und sind so schmal,
dass man darin nur stehen oder auf dem Rand sitzen kann.

Allerdings können wir das alles nicht so richtig genießen. Bernd hat weiterhin Probleme mit den Zehen und Füßen und kann kaum laufen. Dank Gesines und Utas medizinischer Unterstützung aus der Ferne sind die Entzündungen an den Zehen zwar besser geworden, aber ein Bein tut jetzt weh und wird rot. Heute Nachmittag gehen wir auf jeden Fall mal hier zum Arzt.

Über unser drittes Weltkulturerbe auf unserer touristischen Ameisenstraße, das Fort von Galle, wo wir vor drei Tagen waren, schreibe ich später.

Boossa, 3. – 9. März

Die letzten Tage waren anstrengend. Bernds Fuß ist schlimmer geworden, rot und angeschwollen bis zur Wade, so dass er kaum noch humpeln konnte. Wir waren zweimal beim Arzt in Mirissa, ein total netter, kompetenter junger Mann, der ihm jedesmal Antibiotika verschrieben hat, beim zweiten Besuch eins, das speziell gegen allergische Reaktionen von Insektenstichen wirken sollte. Aber es ist erst mal immer schlimmer geworden und wir haben schon darüber nachgedacht, in eine Privatklinik in Galle zu fahren oder irgendwie schnell nach Hause zu kommen.

Gestern sind wir dann auch wieder in eine andere Unterkunft gezogen, die wir schon vor unserem Aufenthalt in Mirissa klargemacht hatten: am selben Strand, aber diesmal mit großem Balkon und großen Fenstertüren, die man öffnen kann. Wir sind mit dem Taxi gekommen, denn Bernd konnte gar nicht mehr laufen. Das war, glaub ich – hoffe ich – der schlimmste Tag, denn nach einem ganzen Tag Bein hoch und kühlen und vielen Tabletten war heute morgen ein bisschen Licht am Horizont und es scheint besser zu werden. Vielen Dank an Uta, die Bernd die ganze Zeit mit Diagnosen und Ratschlägen unterstützt hat.

So, das war also unsere letzte Woche: keine Aktivitäten, keine Sehenswürdigkeiten, keine berichtenswerten Erlebnisse. Ich bin manchmal ein bisschen schnorcheln gegangen und hab viele bunte Fische gesehen und bin dann ein bisschen am Strand lang spaziert und habe mir die blöden europäischen Touristen angeguckt, wie sie tätowiert und in knappstem Badeoutfit lässig das Surfbrett unter den Arm geklemmt betont entspannt am Strand flanieren oder aber in tiefsinnige Gedanken versunken (oder nur gelangweilt?) über das Meer schauen. Aber ich wollte Bernd auch nicht so lange allein lassen.

Besuch bei Dr. Akila Wimalawardana

Sri Lanka ist mir in dieser Zeit schlimm auf die Nerven gegangen: heiß und feucht, laut, dreckig. Aber das ist sehr ungerecht. Alle Menschen, denen wir begegnen, sind sehr freundlich und hilfsbereit. Der Arzt wollte bei Bernds zweitem Besuch nicht mal ein Honorar. Die Menschen sind fleißig und tun und machen und versuchen sich in ihrer enormen wirtschaftlichen Krise über Wasser zu halten. Unser jetziger Landlord betreibt das kleine Hotel zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder. Seine Mutter ist beim Tsunami umgekommen. Er hat in Australien und Dubai Hotelbusiness gelernt und hat auf dem elterlichen Grundstück dieses kleine Hotel aufgebaut. Morgens geht er immer fischen. Er bringt mit Booten ein großes Netz aus und zieht es mit 30 anderen jungen Männern wieder rein.

Unser Zimmer im 1. Stock mit Balkon

Die Menschen jammern nicht und machen und tun einfach, denn sie wissen, dass vom Staat keine Hilfe kommt. Das Land ist hochverschuldet, und immer wieder auf Kredite vom IWF angewiesen, der ihm drastische Sparmaßnahmen auferlegt, die natürlich die Sozialausgaben und damit die Schwächsten treffen. Trotzdem verstehe ich nicht, wieso dieses Land nicht auf die Beine kommt. Es hat doch viel zu bieten: die Menschen sind gebildet – die Alphabetisierungsrate liegt bei weit über 90 % -, das Land hat Edelsteine, Landwirtschaft und Tourismus. Aber viele junge Leute gehen weg. Z.B. auch nach Süd Korea, mit dem Sri Lanka einen Handelsvertrag hat und wo man gut Geld verdienen kann.

Es fällt mir schwer, diese Wahrnehmung von freundlichen, hilfsbereiten und bescheidenen Srilankesen zusammen zu kriegen, mit dem, was ich über den Bürgerkrieg lese, der erst 2009 zu Ende ging. Ich lese ein Buch von Shehan Karunatilaka ‚Die 7 Monde des Maali Almeida‘ (Booker Prize 2022), das im Jahr 1990 in Colombo spielt und sich mit den Grausamkeiten des Bürgerkriegs auseinandersetzt.

Der Einstieg in den Roman fiel mir aufgrund seiner vulgären Sprache und abstoßenden Schilderungen richtig schwer, aber da ich nichts anderes mehr zu lesen habe und nichts anderes zu tun sowieso, lese ich jetzt dieses schreckliche Buch. Und bei allem Widerwillen muss ich sagen, dass es mich doch dazu bringt, mich mit Sri Lanka und dem Bürgerkrieg zu beschäftigen, einen Krieg, von dem ich vorher so gut wie gar nichts wusste.

Boossa, 8. März

Wenn ich zurückdenke an all die Stationen und Erlebnisse unserer Sri Lanka Reise, kommt mit das vor, als wär es schon wieder lange vorbei. Aber wir sind immer noch hier!!!! Nur, wir reisen nicht mehr. Seit Dienstag ist Bernd im Krankenhaus in Galle. Der Fuß ist nicht besser geworden und wir mussten etwas unternehmen. In der Notaufnahme ging alles sehr schnell, Diagnose schwerer Zellulitisinfekt. Innerhalb von 2 Stunden hatte Bernd ein Bett und hing am Tropf.

Ja, so unvorhergesehen schnell war das Reisen vorbei. Und bei allem Unglück haben wir es gut getroffen mit dem Kankenhaus. Bernd wird gut betreut, alle sind freundlich und die Entzündung geht – wenn auch langsam – zurück. Er hat ein großes Einzelzimmer mit super Aussicht über die Palmen von Karapitya und seit Dienstag verbringe ich dort den Großteil des Tages. Natürlich machten wir uns Sorgen, auch darüber, ob wir unseren Flug am Montag überhaupt kriegen. Aber es scheint so, dass er heute rauskommt.

Zimmer mit Aussicht

9. März

Juhu, Bernd ist wieder draußen! Jetzt nur noch der Flug am Montag und dann müssen wir uns erstmal erholen von dem Schreck. Ich habe mich noch nie so doll auf zu Hause gefreut.

Trotz allem ist ja auch so eine Krankenhauserfahrung interessant. Für Bernd war es ziemlich blöd, er lag ja die ganze Zeit nur rum – und das wird wohl noch eine Weile so bleiben. Aber ich hab immerhin Galle noch einmal von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Ich weiß jetzt genau, wie man mit dem Bus von Boossa nach Galle Central Bus Stand kommt und mit welchem Bus man dann nach Karapitya fährt und wie teuer jedes Ticket ist. Ich kenne den Weg vom Ruhunu Krankenhaus bis zum Busbahnhof in Galle – so 4 km -, denn die bin ich jeden Nachmittag zu Fuß gegangen. Und ich kenne ein paar Geschäfte, wo man schöne Stoffe kaufen kann.

Aber am interessantesten fand ich es, das Krankenhaus von innen kennenzulernen. Alle lächeln einen an und wackeln freundlich mit dem Kopf. Besonders die oft noch sehr jungen Krankenschwestern in ihrer weißen Uniform mit Häupchen haben immer viel Spaß miteinander.

Keiner wirkt gestresst. Und alle Abläufe sind klar und effektiv organisiert. Ständig kommt jemand ins Zimmer und macht sauber, fragt nach Essenswünschen, bringt Tabletten, richtet den Tropf neu ein… Ich war wirklich überrascht, denn ich hatte größte Befürchtungen, als wir entschieden haben, ins Krankenhaus zu gehen. Wenn man durchs Land und die Orte fährt, hat man oft den Eindruck, dass alles auf Verschleiß gefahren wird und große neue Projekte bleiben mitunter nur Bauruinen. Aber für die medizinische Versorgung gilt das nicht. So hat Bernds Unglück doch zu einer guten Erfahrung geführt und meinen Eindruck von Sri Lanka noch einmal wieder zurecht geruckelt.

Greetings from Down Under

Australien 22. Januar – 11. Februar 2019

25. Januar, Melbourne, Ringwood East, 26 Alexandra Rd

Australien stand nie auf meiner Reiseliste – zu weit, zu teuer, ökologisch nicht vertretbar, kulturell nicht so spannend. Aber als wir im Fachbereich Englisch Begleiter für den Australienaustausch mit dem Melba-College in Melbourne gesucht haben, habe ich gleich HIER!!! geschrien: 3 Wochen keine Schule und Sommer im gräßlichkalten Januar/Februar. Ich wäre blöd, wenn ich mir das entgehen ließe. Also starten wir (Jolande kommt als zweite Begleiterin mit) am 21. Januar unsere Reise nach down under: Tegel – Brüssel – Abu Dhabi – Melbourne. Nach 26 Stunden und mindestens 3 1/2 Bollywoods verabschieden wir uns auf dem Flughafen von unseren 8 Schülern, die von ihren Gastfamilien abgeholt werden und in ihre letzte Woche Sommerferien verschwinden. Wir werden sie erst nach 6 Tagen wieder sehen.

3. Februar

Nach 10 Tagen scheine ich mich – zumindest biorhythmisch – eingelebt zu haben. Die letzte Nacht habe ich zum ersten Mal tief und fest durchgeschlafen. Das war allerdings auch nach 4 Bier.

Wir wohnen bei David und Kelly in einem ruhigen, grünen, wohlhabenden Vorort Melbournes – vom Stadtzentrum (Flinders Street) in 45 – 50 Minuten mit der Stadtbahn erreichbar. Man fährt Richtung Lilydale, steigt in Ringwood East aus und läuft noch mal 10 Minuten durch ein Viertel mit schönen, einstöckigen Einfamilienhäusern aus Holz mit Vorderhausveranden – Californian bungolow style – in großzügigen, gepflegten Gärten, vor den Garageneinfahrten meistens 2 Autos, häufig SUVs.

20190208_182223

Melbourne, Ringwood East, 26 Alexandra Road – unser Zuhause für 3 Wochen Australien

In unserer Garageneinfahrt stehen 4 Autos: rechts Kellys Alltagsauto – ein großer Subaru (daneben ein Boot auf einem Bootsanhänger), links unter dem Carport 2 Oldtimer: ein schwarzes Morris Cabriolet von ungefähr 80 Jahren, ein kleiner roter Morris-Flitzer, ein cremefarbener Morris von 1939, namens Charlotte, außerdem gibt es noch den blauschwarzen Boris und die grünschwarze Daisy, mit ihren 90 Jahren die älteste in Davids Fuhrpark. Aber das sind nur die, die wir bislang kennen gelernt haben. Mit Daisy  und Charlotte waren wir zu unserer großen Freude auch schon unterwegs.

20190202_101535

Charlotte, 80 Jahre alt

David ist Automechaniker, hat eine Werkstatt und sammelt Oldtimer. Er kauft sie auf, nimmt sie auseinander und setzt sie wieder zusammen, so dass sie so schick aussehen wie in einem Film, der in den 20ern spielt, freut sich dran und fährt sie ab und zu, damit sie nicht traurig werden. Er kann jeden Tag der Woche einen anderen fahren, aber dann stehen immer noch einige enttäuscht rum.

Außerdem stehen im Wohnzimmer der Andersons eine alte Tanksäule und ein Motorrad, auf dem häufig die Katze Buster liegt. David ist früher Motorradrennen gefahren: Fotos von ihm in Motorradkluft auf einem offensichtlich schnell durch eine Kurve flitzenden Motorrad zeugen davon. Er sammelt auch Motorräder.

20190130_081803

It’s good to have a man around the house

20190203_131714

Wohnzimmer, Buster schläft auf dem Billardtisch

David sammelt überhaupt gern altes Zeug, das er dann wieder zum Funktionieren bringt, z.B. auch alte Telefone. Und dann kann David noch Brot backen und leckere Spaghetti alla cozze zubereiten, denn er ist ein totaler Italienfan und lernt Italienisch, das ihm mit steigendem Bierkonsum immer flüssiger über die Lippen kommt. Gut, dass er nicht auch noch Tango tanzen kann und mit der wunderbaren Kelly verheiratet ist, sonst könnte ich mich glatt in ihn verlieben.

Nachdem ich so von David geschwärmt habe, ist jetzt Kelly dran: Sie ist ein bisschen jünger als wir und sportlich aus; sie hat früher Netball gespielt und war Cricketcoach. So versucht sie auch gleich, uns die konfusen Regeln von Cricket anhand einer didaktisch nicht ganz einwandfreien Zeichnung zu erklären, denn im Wohnzimmer auf dem großen Bildschirm, der neben der Tanksäule steht, läuft den ganzen Tag irgendein Cricketmatch. Außer dass Cricket ein merkwürdiges, nicht durchschaubares Spiel ist, dass die ‚bloody English‘ (Zitat David) erfunden haben, konnte ich mir noch nicht so viel merken. (Damit muss ich mich wohl noch mal beschäftigen – oder vielleicht doch nicht.)

Kelly hat früher in einem medizinischen Institut gearbeitet und Berichte zusammengestellt, dann hat sie eine Ausbildung zur Sonderpädagogin gemacht und arbeitet jetzt an unserer Partnerschule als Hilfskraft für Kinder mit Förderungsbedarf. Das System ist ähnlich wie bei uns. Kelly kann Zeichensprache, strickt Puppen und näht Klamotten, restauriert Möbel und werkelt gerne in ihrem herrlich wilden Garten herum.

Die beiden haben 2 erwachsene Söhne, Kris und Matt, 2 Katzen, Buster und Pip, 2 Hühner, Scarlet und Ruby, und 1 Eidechse, Bluey. Die Katzen treiben sich überall im Haus herum und verlieren ihre Haare; wir teilen unser Bad mit ihnen – man gewöhnt sich dran. Die Hühner haben zwar einen kleinen Käfig unter dem Trampolin, die Tür steht aber immer offen und so muss man auf der Terrasse sehr aufpassen, wo man hintritt. Auch daran gewöhnt man sich.

Wir hätten es mit unserer Gastfamilie gar nicht besser treffen können, denn Kelly und David macht es Spaß, uns alles zu zeigen und zu erklären. Sie fahren uns an Orte, die wir nie allein gefunden, geschweige denn erreicht hätten, z.B. das Weinbaugebiet Yarra Valley, den Regenwald in den Dandenong Ranges, den Yarra River Side Market. Heute wollten sie mit uns nach Ballarat fahren, ein altes Goldgräbergebiet, aber wir kommen nirgendwo so richtig hin, denn es gibt viele Buschbrände. Kein Wunder bei Temperaturen, die letzte Woche bis zu 45 Grad betrugen und jetzt schon wieder 36 Grad erreichen.

20190127_132017

Dandenong Ranges

Dazu erhält man Informationen, die in keinem Reiseführer stehen und erfährt viel über ihre Haltung zu ihrer Geschichte – den ersten Siedlern, den Aborigenes, ihrem Verhältnis zum UK, das immer noch (surprise, surprise!!!) die ausschlaggebende Staatshoheit hat. Australien ist also faktisch immer noch eine Kolonie des UK (dominion). Mal sehen, wie sich der Brexit auf Großbritanniens Verhältnis zu Australien auswirken wird. David und Kelly spekulieren, dass es sich dann vielleicht wieder mehr auf seine Übersee-Kolonie konzentrieren wird. Aber ob das gut oder schlecht sein wird, ist auch nicht klar.

Wir reden über Trump, Putin und den Kapitalismus, über den Einfluss von Medien und über die Natur des Menschen und noch ein paar weitere Belanglosigkeiten. Wir sind überrasct zu hören, dass Deutsche ihr Bier aus einem ‚Stein‘ trinken (nie gehört) und die Österreicher nicht mögen (Warum? Die sind mir eigentlich egal).

Kelly und David werden im Juni nach Berlin kommen. Wir haben ihnen versprochen, ihnen unseren Teil von Deutschland und unsere Lebensweise zu zeigen.

4. Februar, Melba College, Melbourne Croyden

Auch wenn es nicht so scheint, diese Reise findet im Rahmen eines Schulaustausches statt und heute ist nach 2 Wochen Australien unser erster Schultag. (Das Leben könnte so schön sein!!!)

Wer jetzt auf die Idee kommt, wir würden uns hier einen lauen Lenz machen, irrt ganz gewaltig: Wir sind auch schon in der letzten Woche unserer Dienstverpflichtung nachgekommen:

Dienstag , 29.1.: Fahrt zum CBD (Central Business District) und Besuch von ‚Sealife‘ (Aquarium) , der Aussichtsplattform ‚Skydeck‘ und des ACMI (Australian Center of the Moving Image).

20190129_141140

Blick vom ‚Skydeck‘ auf einen Teil des Zentrums: links vom Yarra River der Federation Square mit großem Museumskomplex, daneben St. Paul’s Cathedral, im Vordergrund Flinders Street Station.

Mittwoch, 30.1.: Ausflug nach Sorrento auf der Mornington Peninsula, ca. 100 km südlich von Melbourne. Auf dem Programm steht: Schwimmen mit Delphinen und Seehunden. Obwohl die Sonne gnadenlos knallt und wir fast einen Hitzekoller kriegen, müssen wir Neoprenanzüge anziehen, denn der indische Ozean ist kalt – die Antarktis ist das nächste Festland im Süden und nur etwas mehr als 3000 km (oder Meilen?) entfernt.

Wir treffen wirklich auf ganze Gruppen von Delphinen, die fröhlich aus den Wogen springen und uns beängstigend nah kommen. Wie die Veranstalter das machen, ist mir ein Rätsel. Sie sagen, es ist Zufall und wir hätten unwahrscheinliches Glück, so viele zu sehen. Wir sehen auch einen Haufen Seehunde, die träge und fett auf einer Plattform im Ozean vor sich hin faulenzen und ab und zu ins Wasser plumpsen. Dort sehen sie weitaus eleganter aus.

Dolphins

Dolphin swimming in Sorrento

Donnnerstag und Freitag, 31.1. – 1.2.: Kurztrip entlang der Great Ocean Road und zum Grampians Nationalpark.

20190131_151811

Die GOR (Great Ocean Road) erstreckt sich westlich von Melbourne über 241 km entlang der Südküste. Die pitturesken Felsen haben unterschiedliche Namen. Diese heißen 12 Apostles und sind ein beliebtes Touristenziel.

Der etwas ruppig und burschikos lockere Tourguide erweist sich als ausgesprochener Kenner der Flora und Fauna des Landes und überzeugender Vertreter eines respektvollen Umgangs mit der Natur und dem kulturellen Erbe. Wir lernen jede Menge, interessante Details, z.B. über anatomische Besonderheiten der Koalas und die Fortpflanzung von Kängurus (Koalas haben einen doppelten Pimmel, die Weibchen entsprechend zwei Vaginas und eine dritte Öffnung zum Gebären; Kängurus gebären bohnengroße Embryos, die sofort nach der Geburt den Bauch ihrer Mutter hoch in den Beutel krabbeln und alle Joey heißen – kein Mensch weiß, wie diese winzigen, blinden, unfertigen Kreatürlein das bewerkstelligen). Wir erfahren, dass Koalas die meiste Zeit schlafen, um Energie zu sparen, denn die Eukalyptusblätter – ihre einzige Nahrung – enthalten nur wenige Nährstoffe, und dass ihre Babys daher länger als Kängurubabys im Beutel bleiben, weil sie keine so nahrhafte Milch wie diese bekommen. Wir erfahren, dass Kängurus gesellig sind und in Gruppen von Tausenden auftauchen können, während ihre Verwandten, die kleinen, schwarzen Wallabys, Einzelgänger sind.

20190201_081841

Kängurus in freier Wildbahn. Man kann ihnen erstaunlich nahe kommen, wenn man sich leise verhält,…

20190201_081913

…sonst hoppeln sie davon.

20190131_105126_001

Koalas sind Einzelgänger und brauchen viele Hektar Eukalyptuswald als Nahrungsraum.

Jerry, unser Guide, erklärt, dass die Samen von Eukalyptusbäumen erst durch Buschfeuer ausgestreut werden und die explosiven ätherischen Öle in den Blättern den Brand befeuern. Außerdem verbreitet sich das Feuer schnell durch die sich von den Bäumen schälende, leichte Borke, die der heiße Wind über weite Distanzen trägt. Dass Buschfeuer nicht nur in den Englischbüchern vorkommen, sondern eine reale Gefahr sind, erfahren wir jeden Tag in den Nachrichten und jeder kann eine persönliche Geschichte zu Buschfeuern erzählen.

Wir gehen durch einen gemäßigten Regenwald, in dem die Farne uralt und so groß wie Bäume und die Bäume (Bergeschen, eine von über 600 Eukalyptusarten) so hoch wie Hochhäuser sind. Fast erwartet man, dass jeden Augenblick ein Dinosaurier zwischen dem dichten Blattwerk auftaucht.

20190131_132105

Uralte, riesengroße Farne bilden das Unterholz des Regenwalds.

IMG_4654

Mounain ashes (Bergeschen) können locker bis 80 m hoch werden.

Jerry zeigt uns eine Höhlenzeichnung der Aboriginees, die den ‚Spirit‘ Bunjil darstellt, der nach ihrer Vorstellung alles, was ist, geschaffen hat. Diese Zeit wird ‚the dreaming‘ genannt. Die Zeichnung ist in Ocker gefertigt und nach wissenschaftlicher Zeit 10 -15000 Jahre alt. In der Vorstellung der Aborigines war sie jedoch schon immer da, denn sie haben nicht unsere lineare Vorstellung von Zeit. Ich finde das alles spannend, weil ich lauter Dinge wiedererkenne, die ich bislang nur als Unterrichtsinhalte von Englischstunden über Australien kannte und die ich daher nie besonders zur Kenntnis genommen habe. Unser Guide zeigt uns, aus welchen Gebieten der ‚Grampians‘ die Aborigines vertrieben wurden. Wir fahren an einem Protestcamp vorbei, mit dem Aborigenes verhindern wollen, dass eine Straße durch ihren heiligen Wald gebaut wird. Das Thema Aborigines ist in der australischen Gesellschaft offensichtlich weiterhin brisant. Immer wieder hören wir Diskussionen darüber, ob der ‚Australia Day‘ am 26. Januar, der die Ankunft der ersten Siedler am 26. Januar 1788 (756 britische Strafgefangene und 550 Mann Besatzung) mit der First Fleet unter Kapitän Arthur Phillip in der Sydney Cove und damit den Beginn der Besiedlung feiert, nicht in ‚Invasion Day‘ umbenannt werden sollte.

IMG_4747

Bunjil, der Geist der alles geschaffen hat mit zwei Dingos, seinen Helfern. Nachdem er sein Erschaffungswerk vollendet hat, verwandelt er sich in einen Adler, dem man als Statue oder Bild überall in Melbourne begegnet.

Nach der Reise kommt eine Schülerin zu uns und sagt, dass sie die Reise spannend fand und viel gelernt hat. Wenn das kein Kompliment ist.

8. Februar

Letzter Schultag. Noch ein Wochenende und dann geht es zurück in den deutschen Winter.

Hier noch schnell ein paar Bemerkungen zu dem, was mir aufgefallen ist:

Melbourne ist eine riesige Stadt. Der überschaubare Central Business District mit seinen Wolkenkratzern ist umgeben von einem Meer von Vororten, bestehend aus niedrigen Reihenhäusern und Einfamilienhäusern mit Gärten, die sich über über eine Länge von mehr als 100 km entlang des Philipp Bays erstrecken. Die meisten ‚Melburners‘ leben in Eigenheimen, der Besitz von Haus und Garten ist erstes und wichtigstes Lebensziel und Kinder, die zu Hause ausziehen, ziehen in ein eigenes Haus, das ihnen entweder die Eltern ermöglichen oder sie selbst mit Hilfe der Bank finanzieren. Dass sie natürlich auch sofort ein Auto haben, erwähnte ich – glaub ich – bereits.

Vielleicht täusche ich mich ja, aber irgendwie scheint mir der Lebensstandard auf der anderen Seite der Welt höher. Die Aussies arbeiten mit Sicherheit nicht mehr als wir: Während in Deutschland Autowerkstätten schon ihr 3. Auto durch den TÜV gebracht haben, liegt unser David noch ganz entspannt mit einem Espresso im Bett und liest Zeitung. Seine Werkstatt öffnet um 9:00. Auch die Schule beginnt erst um 8:50 Uhr, endet aber – genauso wie bei uns – um 15:00. Gegen 17:00 trinkt David im Garten ein entspanntes Feierabendbier. Und am Montag hat er seinen freien Tag. Kelly hat ihren freien Tag am Mittwoch. – No worries! Vielleicht sind deshalb die Leute hier auch alle so freundlich.

Aber vielleicht liegt es auch daran, dass alles so gut organisiert ist und daher keine Hektik aufkommt. Man zahlt alles – ALLES – , selbst einen Kaugummi, mit Kreditkarte (ohne lästiges Eintippen der PIN), Straßenmaut und Parkschranken registrieren die Bezahlung elektronisch. Es gibt überall Klos, nicht nur in der Stadt, sondern auch irgendwo j.w.d. im Busch, sie sind fast immer sauber, großzügig und kosten NICHTS! Im Zentrum von Melbourne sind die Trams frei, es gibt sogar eine historische Straßenbahn, die im Kreis fährt und die Besucher auf die Highlights der Stadt hinweist. Auch viele große Museen kosten keinen Eintritt. In den Parks gibt es kostenlose Barbequestationen.

Melbourne_Museum

Melbourne Museum – kein Eintritt für Schüler

Die Schule ist nigelnagel neu: überall gibt es Zonen, wo man sich treffen oder arbeiten kann, überall Lehrerstationen mit vollausgestatteten Küchen, es gibt eine umfassende Bibliothek, ein Medien-Zentrum, es gibt flexible Klassenräume, die man durch Schiebetüren verändern kann, alles ist sauber, transparent und klimatisiert. Alle Beschriftungen gibt es selbstverständlich auch in Blindenschrift (nicht nur in der Schule) und der Unterrichtsstoff steht als standardisierte, digitale Unterrichtseinheiten zur Verfügung. Die Schüler tragen Schuluniform, sind freundlich und gehen respektvoll und höflich miteinander und den Lehrern um. Die Lehrer können nach 7 Dienstjahren über ihre normalen Ferien hinaus noch ‚long-service-leave‘  (pro weiteres Jahr eine Woche – GESCHENKT!!!) nehmen und so ihre Winterferien um Wochen ausdehnen und Europa im Sommer besuchen.

Wie machen die das bloß???

3. Etappe: Thailand, Laos, Vietnam, Kambodscha

28.01. – 31.01.2014 Bangkok
01.02. – 02.02.2014 Vientiane (Laos)

Vang Vieng, 3. Februar

Nach 6 Wochen Weihnachtspause in Deutschland sind wir wieder unterwegs.
Ich muss sagen, es ist mir schwer gefallen, mich mental auf diese Reise einzustimmen. Indien wirkt lange nach und ich hatte mich, ehrlich gesagt, noch nie mit Südostasien beschäftigt, hatte kaum eine geografische Vorstellung von den Ländern. Auch hatte ich sogut wie nichts über Südostasien gelesen, weder Literatur noch Sachbuch. Helmut wollte mir gern diesen Teil der Welt, zu dem er sich hingezogen fühlt, zeigen und ich habe mich darauf eingelassen, denn ich hatte mir ja vorgenommen, mir in diesem schulfreien Jahr die Welt anzugucken und Länder zu bereisen, in die ich wahrscheinlich waehrend der Schulferien nicht fahren wuerde. Also liege ich jetzt in einer Hängematte auf der Veranda unserer aus Schilfmatten geflochtenen Stelzenhütte in Vang Vieng in Laos und lasse die Eindrücke der letzten Woche Revue passieren
Ich muss sagen, nach der Erfahrung von Bombay kommt mir Bangkok ziemlich gemäßigt vor. Ich hatte mir eine weitere chaotisch-laute, dreckige und überfüllte asiatische Megastadt vorgestellt – weit gefehlt! Große Überraschung: Die Stadt ist zwar voller Menschen und Autos, aber der Verkehr fließt (oder stockt) ruhig. Keiner hupt, keiner drängelt und jeder bleibt in seiner Spur. Zweite Überraschung: Wir werden in Ruhe gelassen. Wir müssen nicht ständig Heerscharen von Händlern,Tuk-tuk-Fahrern, Guesthouse- und Restaurant-Schleppern abwimmeln. Ab und zu bietet eine Frau vor ihrem offen einsehbaren Salon mit einem schüchternen ‚Massage‘ ihre Dienste an. Das hat nichts Schmuddeliges. Und: In Bangkok wird sauber gemacht. Die Leute fegen auch vor der eigenen Haustür und schmeißen ihren Müll in Mülleimer. Die Hitze, vor der ich mich etwas gefürchtet hatte, ist erträglicher als im schwülfeuchten Bombay, aber vielleicht liegt’s auch an der Jahreszeit.

Bangkok ist eine Stadt am Fluss.
Per Schiff auf dem Chao Phraya kann man der Hektik des Verkehrs entgehen und bequem flussnahe Orte in der Stadt erreichen.

Wir besuchen einige der unzähligen Tempel, deren Namen ich mir nicht merken kann. Ich weiß nur, dass sie ‚Wat‘ heißen. Ihre goldüberzogenen und mit Spiegelmosaiken verzierten Dächer und Giebel funkeln in der Sonne, aber auch nachts im Schein des Mondes und der Straßenbeleuchtung. Das gibt der Stadt etwas Märchenhaftes.

IMG_0038

In den Tempeln gibt es Buddhas in den unterschiedlichsten Ausführungen zu bestaunen: kleine, große und riesige, dicke und dünne, sitzende, stehende und liegende, aber fast immer goldene.

Die Tempel sind von großzügigen, gepflegten Klosteranlagen umgeben Es sind Orte der Ruhe, in denen man überall die in strahlendes Orange gewandeten Mönche ihrem Tagewerk nachgehen sieht. In den Tempeln ein lebendiges Kommen und Gehen, Gläubige bringen Opfergaben oder vollziehen Rituale.

Sam Po Kong im Wat Kanlayanamit, die größte Buddha-Statue in Bangkok
  Ein alter müder Mönch

Die Stadt,  in der viele Chinesen leben, bereitet sich auf das Neufahrsfest ‚Tet‘ vor.  Man sieht mit Girlanden,  Blumen und roten Lampions geschmückte Läden und Straßenzüge – das Jahr des Pferdes steht vor der Tür. Von den Unruhen und Demonstrationen wegen der bevorstehenden Wahlen bekommen wir außer den Straßenbarrikaden nichts mit.

Guayin, eine chinesische Göttin und Buddha mit 18 Armen

In Bangkok wird ununterbrochen ‚geschnebbelt‘, an jeder Ecke Essenstände mit kleinen Leckkereien. Es wird gebrutzelt, gegrillt und gekocht: Suppen, Reis- und Nudelgerichte, Pfannkuchen und Spießchen mit Hühnchen, aber auch Teilen, die ich nicht identifizieren kann – ganz Bangkok isst auf der Straße.

Die Fahrradtour durch Bangkok ist ein echtes Highlight. Nie im Traum hätte ich Fahrradfahren und Bangkok zusammengebracht, aber es funktioniert. Die Geschäftsidee stammt – wie kann es anders sein- von einem Holländer. Und der Laden läuft. Eine kleine drahtige, junge Thailänderin führt uns mit dem Fahrrad durch die winzigsten Gassen von Chinatown, dunkle, höhlenartige Unterführungen, über Hinterhöfe, vorbei an den garagenartigen, zur Straße offenen Wohnzimmern der Chinesen, in denen die Familie auf dem Boden hockt und fernsieht. Wir fahren durch den riesigen Blumen-, Gemüse-, Obst-Großmarkt der Stadt, der 24 Stunden am Tag geöffnet ist. Allein hätten wir diese Orte weder gefunden noch uns hier hergetraut.

Am Abend besuchen wir das Vergnügungsviertel, wo man uns ständig ‚Pingpong-Show‘ Menü Karten unter die Nase hält, auf denen aufgelistet ist, welche Pussy-Kunststücke es zu sehen gibt. Wir haben keine Lust darauf und gehen in eine Bierbar, in der eine ältliche Rockband etwas lustlos Oldies runterleiert. Im Publikum vornehmlich männliche Biertrinker aus dem Westen, die autistisch auf ihre Handys starren. Auch nicht gerade der Hit. Da trinken wir lieber ein Bier in unserem friedlichen und unaufgeregten Backpacker-Guesthouse New Siam I.

Vang Vieng, 7. Februar

Ich liege immer noch in der Hängematte und bevor es morgen weiter nach Luang Prabang geht, noch ein paar Eindrücke von unserer zweiten Station Vientiane. Um ein wenig Strecke zu machen, fliegen wir von Bangkok nach Udon Thani kurz vor der thailändisch-laotischen Grenze am Mekong. Wir hatten uns schlauerweise die laotischen Visa schon in Berlin geholt (Helmut, der alte Traveller!), dennoch gibt es ab der Grenze noch jede Menge Papierkram und Stempel und nicht ganz nachvollziehbare Gebühren: Willkommen in der Volksrepublik Laos – da kommen doch Erinnerungen hoch.

Vientiane ist die Hauptstadt von Laos und Helmut wollte dort unbedingt hin. Das geht wohl vielen Leuten so, denn die Stadt von der gefühlten Größe Helmstedts ist voll von Touristen, viele Franzosen (Laos war Teil von Indochina, d.h. französische Kolonie), aber auch Deutsche, meist ältere Paare. Alle laufen etwas ratlos in dieser Stadt herum und ich habe den Eindruck, dass sich auch die Stadt wundert, warum so viele Besucher kommen, denn hier ist nix. Ein paar Tempel, die hier ‚Vat‘ heißen, ein monströser, der Tempelbauweise nachempfundener Kulturpalast, ihm gegenüber die Nationalgalerie, die beide werktätigenfreundliche Öffnungszeiten haben, so dass es uns nicht gelingt, sie zu besuchen. Weiterhin gibt es eine Prachtstraße, die vom Präsidentenpalast zu einer Art Arc de Triomphe führt, auf der man viel Platz hat, denn es fahren nur wenige Autos. Die Menschen bewegen sich überwiegend auf Fahrrädern oder Mopeds. Ab und zu sieht man einen SUV-Toyota – wohl ein paar reiche Chinesen oder die noch spärliche Mittelklasse. An der Prachtmeile liegt der Morgenmarkt, halb Einkaufszentrum, halb Krempelmarkt. Es gibt nichts, was ich kaufen möchte. Kein Vergleich mit den Märkten in Bangkok, noch viel weniger denen in Indien. Laos ist ein armes, sozialistisches Land.

Das Straßenbild wird geprägt von bescheidenen Restaurants – es gibt allerdings Cafés mit leckeren französischen Croissants – , ärmlichen Wohnhäusern, teilweise im französischen Kolonialstil, und modernen Einkaufblocks. Dazwischen viele Chinesen, die hier, wie wohl überall in Südostasien, wirtschaftlich kräftig mitmischen und dafür nicht gerade sehr beliebt sind. Die ganze Stadt wirkt so, als wüsste sie nicht so richtig, welchen Weg sie einschlagen solle.

Gegen Abend gehen die Vientianer auf der großangelegten Uferpromenade spazieren Der Mekong macht hier eine riesen Schleife. Auf der anderen Seite ist Thailand – es gibt weit und breit keine Brücke. Da Trockenzeit ist, ist das Wasser des Mekong weit zurückgegangen und der Großteil des Flussbettes liegt nackt und sandig da. Man muss einige hundert Meter laufen, um Wasser sehen zu können. Kein Baum, kein Gebüsch, kein Grün nur, staubige Weite. Auf der Promenade machen am Abend ein paar Buden auf. Sie stehen ordentlich in Reih und Glied und bieten alle denselben Ramsch an. Zwei Aerobicvorturnerinnen haben Grüppchen von fitnessbewussten Vientianer vor sich versammelt und geben bei Sonnenuntergang über dem staubigen Flussbett des Mekong bei krächzender Musik lautstarke militärische Kommandos.

Am Abend gehen wir in ein bei Ausländern beliebtes Restaurant. Am Nebentisch sitzt ein Mann – so um die 50 – reiht eine Flasche Bier nach der anderen vor sich auf (6 !!!), raucht und stiert vor sich hin. Ein anderer einzelner Herr, Franzose, bittet ihn an seinen Tisch, um ihm Gesellschaft zu leisten. Der Biertrinker wehrt heftig ab. Uns gefällt die Geste des Franzosen und wir kommen mit ihm ins Gespräch. Als wir gehen, wünsche ich ihm: ‚Enjoy your meal!‘ und dem Biertrinker: ‚And you enyoy yourself!‘ ‚I’m not enjoying myself‘, entgegnet er da. ‚But that’s a long story.‘ Gern hätte ich am nächsten Abend die Geschichte gehört – vielleicht hätte Vientiane noch ganz interessant werden kònnen. Aber es gibt ein Missverständnis mit unserer Buchung und wir reisen am nächsten Tag weiter.
Liebe Luise, gut, dass du nicht nach Vientiane gegangen bist.

02.02. – O8.02.2014 Vang Vieng
08.02. – 12.02.2012 Luang Prabang

Luang Prabang, 11. Februar

Ich habe die Hängematte in Vang Vieng verlassen und sitze jetzt auf meinem Balkon mit Blick auf den Mekong (lustig: reimt sich) in Luang Prabang, ca. 270 km und 6 kurvige Autobusstunden nördlich.


Erst im Abstand von einigen Tagen bekomme ich ein klares Bild von dem Ort, an dem wir waren: Das kleine Städtchen Vang Vieng – 3 Vats und Zentrum für die ländliche Umgebung – liegt malerisch am Fluss Nam Song. Im Flusstal Landwirtschaft (meist Reisfelder, die um diese Jahreszeit abgeerntet und trocken da liegen) und vereinzelte Dörfer, die rückständig und arm wirken. Allerdings gibt es an den staubigen Landstraßen überall Grundschulen, denn die Kinder müssen sie zu Fuß oder per Fahrrad erreichen können. Schulbusse gibt es hier nicht.

Um Vang Vieng herum wachsen kegelförmig steile, mit Dschungel bewachsene Kalkberge aus der Ebene, die reine Postkartenidylle. Aber wie so oft: Der Schein trügt.

Als wir kommen, ist Vang Vieng überschwemmt von chinesischen Touristen. Sie tauchen immer in Rudeln auf, verstopfen die Restaurants und Hotels und wollen in ihrer einen Woche Urlaub nach dem chinesischen Neujahrsfest so viel wie möglich erleben, auch wenn sie den Aktivitäten nicht immer gewachsen sind. So müssen Kajaktouren für die planlosen Chinesen meist um die Hälfte gekürzt werden, erfahren wir von unserem Kajak-Tourguide.

Als die chinesischen Touristen weg sind, zeigt sich jedoch das wahre, hässliche Gesicht des Ortes und das sind die Backpacker, die uns vorher gar nicht so aufgefallen waren. Junge, fröhliche Leute aus Europa, Amerika und was weiß ich, woher – knapp und locker angezogen, polyglott und super cool drauf. Ihnen ist es total egal, wo sie ihre Party feiern, Hauptsache es gibt billig viel Alkohol, Drogen und laute Musik. Sie hängen in den Cafés und Restaurants rum und trinken Bier, gucken dabei auf riesige Bildschirme, die ewige Wiederholungen von amerikanischen Soaps ausstrahlen, sie schwingen sich an Tarzanseilen ins Wasser und lassen sich in LKW-Schläuchen von Bar zu Bar den Fluss runter treiben.

Vor einigen Jahren hatte dieses lustige Treiben mit tötlichen Unfällen unter Drogen- und Alkoholeinfluss solche Ausmaße erreicht, dass die Regierung einschritt, Bars dicht machte und Verbote erteilte – offensichtlich ohne nachhaltige Wirkung. Die kleine Stadt wird einfach von Backpackern überrannt und die Einwohner, die eine Chance sehen, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern, haben sich voll auf diese Klientel eingelassen. Vom Haus bis zur letzten Bretterbude, alles wird zum guesthouse, zur Bar, zum Internetcafé, zur Travel-agency, zum Fahrrad- und Motorradverleih. Die Einwohner geben ihre bisherige Arbeit, z.B. in der Landwirtschaft oder aber auch als Lehrer auf, um ja etwas von dem großen Tourismuskuchen abzubekommen. Sie funktionieren ihre Wohnzimmer in Massagesalons um und bieten das Bier wie auf Malle in Kübeln mit Strohhalm an. Wer hat Schuld? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall wird mir immer klarer, welch eine destruktive Macht der Tourismus hat.

Eine ähnliche Entwicklung scheint auch Luang Prabang zu nehmen, allerdings auf höherem Niveau. Luang Prabang ist Pilgerstadt, Sitz vieler wunderschöner Tempel und Klöster, die der Stadt mit ihren gepflegten Anlagen eine fast spirituelle Aura verleihen, ist Weltkulturerbe und zieht damit eine betuchtere, gebildetere und damit weniger schamlose Klientel an, aber in jedem Fall so viele, dass sich der ursprüngliche Charakter der Stadt ändert. Die Bürgersteige wurden mit alten Ziegeln gepflastert, die Hauptstraße für den Verkehr gesperrt, die im französischen Kolonialstil errichteten Häuser der Altstadt aufwendig und liebevoll restauriert, aber die Einwohner haben sich aus diesem Teil der Stadt zurückgezogen: jedes Haus ein Restaurant, ein Hotel, ein Reisebüro für Touren und Aktivitäten in der Umgebung, ein Laden für Antiquitäten, Schmuck oder Seide, ein Fahrrad- und Motorradverleih.

Sozialismus hin oder her, die Laoten haben schnell kapiert, wie Kapitalismus funktioniert. So sind die Preise hier in einigen Bereichen 3 – 5 mal so hoch wie in Vang Vieng. Handeln zwecklos, denn es gibt fixe Preisabsprachen. Das Geschäft mit dem Tourismus treibt kuriose Blüten. So schießen überall Zahlhäuschen aus dem Boden. Ich kann verstehen, dass man für eine wackelige, aus Schilf geflochtene Fußgängebrücke über den Fluss Maut bezahlen soll, denn sie, muss instand gehalten werden. Aber warum soll ich mitten in der Pampa für einen Mopedparkplatz und das Betreten der Natur zahlen? Wir wollen einen Wasserfall angucken: Bitte sehr: 10 000 Kip. Wir wollen einen Berg besteigen: 10 000 Kip. (Es kostet immer 10 000 Kip, 90 Cent).

In Vang Vieng leihen wir uns Fahrräder aus, um zu einer beliebten Höhle mit Bademöglichkeit zu fahren. Die Straße ist so rumpelig, dass wir beschließen, die Strecke abzukürzen und zu einer näheren, weniger beliebten Höhle zu fahren. Wir sind weit und breit die einzigen, die dieses Ziel ansteuern. Plötzlich materialisiert sich ein Zahlhäuschen, d.h. eine Überdachung, unter der 2 Männer hocken und einer in der Hängematte schläft. Brav entrichten wir die 10 000 Kip Eintritt in den ‚Park‘, lassen unsere Fahrräder stehen und machen uns auf den Weg zur Höhle. Auf einmal läuft da einer der Wartehäuschen Männer neben uns. Hat der wohl zufällig den gleichen Weg, denke ich. Ist natürlich der Höhlenführer, der von uns nochmal 50 000 Kip kassiert. Im nachhinein erweist sich diese Investition sogar als sinnvoll, denn er führt uns mit Stirnlampen durch eine richtige Höhle – keine ausgeleuchteten, mit Sicherheitsseilen versehene Touristenhöhle, sondern tiefschwarze Felsgänge, durch deren Spalten wir uns teilweise auf dem Bauch quetschen müssen.

Abzocke auf laotisch: Zahlhäuschen

Schlimmer als die Abzocke durch den Wildwuchs an Eintrittshäuschen sind jedoch die Auswirkungen, die der Tourismus auf die Traditionen und Kultur der Orte hat. In Luang Prabang gibt es eine jahrhunderte alte Tradition. Täglich bei Morgengrauen machen die Mönche der Klöster einen Almosengang durch die Stadt. An den Straßenrändern sitzen Gläubige und Pilger, die mitunter weit angereist sind, um diese rituelle Pflicht zu erfüllen und den Mönchen Nahrungsmittel oder auch Geld in ihre Körbe zu legen, welches sie an Bedürftige weitergeben oder selbst verbrauchen. Die Prozession der orange gekleideten, barfüßigen Mönche vollzieht sich schweigend, sie gehört zu ihren religiösen Pflichten. Inzwischen sind die Straßen von mehr Schaulustigen gesäumt als von Pilgern und die wunderschöne Andacht, die dieser religiöse Ritus beinhaltet, wird durch respektlose Touristen gestört, die den Mönchen auf der Jagd nach pitturesken Fotomotiven den Weg verstellen. (übrigens auch viele Asiaten!) Ich schäme mich fast, auf den Auslöser meiner Kamera zu drücken.

13.02. – 18.02.2014 Hanoi (Vietnam)
18.02. – 21.02.2014 Hoi An
21.02. – 23.02.2014 Phu Quoc
23.02. – 24.02.2014 Ha Thien

Ha Thien, 24. Februar

Habe voll den Asienkoller. Mir geht alles zu schnell. Noch bevor ich mir den Namen von dem Ort gemerkt habe, an dem wir sind, muss ich das Hotel für die nächste Station raussuchen; komme mit den Tausendern, Millionen von Baths, Kips und Dongs in unserem Portemonnaie durcheinander. Wir haben uns  zuviel vorgenommen und müssen unsere Planung noch einmal überdenken. Ich bin nölig: Die Orte sind oll, das Essen schmeckt nicht, überall riecht es und unsere Beziehung ist mangels anderer Kontakte harten Herausforderungen ausgesetzt. Trotzdem will ich ein paar Beobachtungen aufschreiben, bevor sie verloren sind, auch wenn sie vielleicht einen negativen Unterton bekommen.


Die Fahrt von Luang Prabang nach Hanoi ist eindeutig ein Erlebnis: 27 Stunden im Sleeper Bus. Die Passagiere (außer uns nur junge Traveler und ein paar Laoten, die unterwegs aufgesammelt werden) liegen auf Schlafsesseln in 3 Doppelstockreihen. Dazwischen liegen noch Leute auf dem Fußboden. D.h. man kann sich mangels Deckenhöhe weder aufrichten, noch kann man aufstehen. Ich komme mir vor wie auf Klassenfahrt. Merkwürdigerweise haben wir die Fahrt unbeschadet überlebt. Helmut freut sich, dass er mal 27 Stunden im Liegen lesen, schlafen und Sudoku spielen darf, ohne sich rechtfertigen zu müssen.


Die Vietnamesen sind ein komisches Volk: Sie bauen ganz schmale, lange Häuser (wie über einander gestapelte Eisenbahnwaggons -, fahren abends ihr Motorrad ins Wohnzimmer und platzieren es zwischen Fernseher, Hausaltar und Kühlschrank. Die Frauen laufen den ganzen Tag im Schlafanzug rum. Sie tragen dazu einen farblich abgestimmten Mund- und Nasenschutz und einen kegelförmigen Strohhut. Die Vietnamesen hocken auf winzigen Plastikkinderstühlchen auf dem Gehsteig und essen morgens zum Frühstück Nudelsuppe. Mittags und abends auch. Man isst die Suppe mit Stäbchen und da mir die Nudeln ständig in die Brühe glitschen, die dann hochspritzt, sehe ich nach den Mahlzeiten ziemlich bekleckert aus.

Marktfrauen in Hoi An
Marktfrauen in Hoi An

Auch wenn das vielleicht nicht so klingt, die Suppen sind meist köstlich und jeder Versuch, auf der Speisekarte angebotenes westliches Essen zu probieren, endet mit großem Frust. Aber immer – besonders zum Frühstück – will man halt keine Nudelsuppe, so dass ich aus lauter Verzweiflung in einem Delikatessenladen in Hanoi 2 belegte Baguettes für umgerechnet 12 Euro kaufe.

Garküche
Garküche

Hanoi riecht also zu allererst nach Nudelsuppe. Und nach  Räucherstäbchen, die vor den Ahnenaltären in den Garagenwohnzimmern und Geschäften und Läden angezündet werden und einen süßlichen Geruch verströmen. Manchmal sieht man vor den Altären auch eine Dose Bier und eine Schachtel Zigaretten. Schließlich soll es den Verstorbenen im Jenseits an nichts fehlen.

Ahnenaltar: Ein Bierchen für den Lieben im Jenseits
Ahnenaltar: Ein Bierchen für den Lieben im Jenseits

Und es riecht nach Auspuffgasen. In Hanoi gibt es Millionen von Motorrädern und jeder, der Computerspiele gespielt hat, bei denen man Rennen mit Hindernissen fährt, ist hier eindeutig im Vorteil. Über Hanoi liegt eine graue Dunstglocke, die an schlimmste Berliner Zeiten erinnert.

Alltägliches Gewimmel in Hanoi
Alltägliches Gewimmel in Hanoi

Aber die Stadt ist fröhlich, jung, lebendig. Es gibt sogar eine kleine Tangoszene. Wir müssen lange suchen, bis wir die Location finden, aber es lohnt sich. Die Hanoier tanzen auf hohem Niveau – sie könnten sofort im Profikurs bei Angelika einsteigen – und nehmen uns mit offenen Armen auf. Auch wenn die Verständigung auf Englisch schwierig ist, beim Tango kommunizieren wir wunderbar. Hier lernen wir Rita und Uwe aus Hannover und Hildesheim kennen, mit denen  wir an den folgenden Abenden ausgehen, unsere Erfahrungen mit Hanoi und mit späten Beziehungen austauschen.

Wenn man die Buchstaben von der Hauptstadt Vietnams vertauscht, landet man in Hoi An, unserer nächste Station, 934 km südlich gelegen und (mal wieder) Weltkulturerbe. Wie Luang Prabang in Laos hat sich die Stadt herausgeputzt und wimmelt von Touristen. Die alten Holzhäuser sind schön anzusehen und abends erstrahlt die ganze Stadt im Licht von Tausenden von bunten Seidenlaternen. Um die romantische Stimmung komplett zu machen, ertönt in der ganzen Altstadt über zahlreiche Lautsprecher seichte Klaviermusik a la Richard Claydermann. (Diese zentrale Beschallung einer Stadt erleben wir wieder in Ha Thien am Montagmorgen um 5 Uhr, allerdings hören wir hier wohl eher eine Ansprache zum Wochenbeginn mit anschließenden Kommandos für gymnastische Übungen.)

Hoi An: Nachtmarkt mit Seidenlampions
Hoi An: Nachtmarkt mit Seidenlampions

Von Hoi An wollen wir ins Mekongdelta. Wir wägen unterschiedliche Routen und Verkehrsmittel gegeneinander ab und entscheiden uns schließlich für eine schnelle und relativ kostengünstige Variante. Wir fliegen auf die vietnamesische, vor der kambodschanischen Küste gelegene Insel Phu Quoc, weil wir von dort schnell das Mekongdelta erreichen und vielleicht vorher ein paar Strandtage einschieben können: türkisfarbenen Meer, Weißer Sand, Palmen. Und hier kriege ich meinen Asienkoller, weil ich alles oll finde, mir einfach alles auf den Wecker geht: Unterkunft, Essen, Strand…

24.02. – 26.02.2014 Can Tho
26.02. – 27.02.2014 Chau Doc
27.02. – 02.03.2014 Phnom Penh

Phnom Penh, 2. März

Statt mit den aberwitzigen Dong-Millionen zahlen wir jetzt in Riel oder Dollar, die Schrift ist wieder unlesbar verkringelt, die zahlreichen buddhistischen Tempel heißen wieder Wat und die Mönche sind wieder orange: Wir sind im Königreich Kambodscha.
Und um das gleich mal von Anfang an klar zu stellen: Nein, wir fahren nicht nach Angkor Wat und nein, wir haben kein schlechtes Gewissen, dass wir dieses Weltwunder und Weltkulturerbe – nur einen halben Bustag von Phnom Penh entfernt – auslassen, um die letzte Woche ganz profan auf einer thailändischen Insel abzuhängen. Es ist entschieden: Heute Nacht nehmen wir den Sleeperbus nach Kho Chang.
Wir können einfach nicht mehr, haben in der letzten Zeit zuviel ein- und ausgepackt, sind zuviel unterwegs gewesen, haben so viele Pagoden, Märkte, Suppen- und Brutzelküchen gesehen, dass alles nur noch an uns vorbei- rauscht, wir unsere Eindrücke nicht mehr verarbeiten können, manchmal schon gar keine Eindrücke mehr entstehen. – Gut, haben wir was gelernt für die nächste Reise.
Bevor ich jetzt ein paar Sätze zu Phnom Penh sage, möchte ich doch noch eine Bemerkung zu Vietnam loswerden. Helmut sagt mein Blog klingt doch ganz schön distanziert und wo bleibt die Faszination?
Mag sein, dass ich nicht die gleiche Faszination für diesen Erdteil empfinde wie er. Zu sehr bin ich immer wieder mit mir selbst beschäftigt, mit der Überwindung meiner europäischen Sichtweise, meiner Gewohnheiten, der Suche nach meinem Wohlfühlraum. Aber ich gucke schon genau hin und sehe, sehe auch gerade durch den Kontrast mit der mir vertrauten Lebensweise. Statt Faszination daher eher lernen, Verständnis entwickeln für andere Lebensweisen und die Grenzen der eigenen Anpassungsfähigkeit sehen und akzeptieren.

Ein typisches Bild in Vietnam: weibliche Bootsfahrer.
Ein typisches Bild in Vietnam: weibliche Bootsfahrer.

Jetzt aber zu Vietnam, genauer gesagt den Frauen in Vietnam. Sie haben bei mir einen starken Eindruck hinterlassen, genauer gesagt: einen Eindruck von Stärke. Selbstbewusst modisch behelmt schlängeln sie sich auf ihrem Moped durch das chaotische Verkehrsgewühl Hanois, stolz rudern sie Touristen auf uralten Kähnen durch das Mekong-Delta; in den Körben, die über ihre Schultern hängen, tragen sie schwere Lasten; mit großer Selbstverständlichkeit schmuggeln sie Zigaretten von Kambodscha nach Vietnam. Staunend verfolgen wir während einer Busfahrt, wie eine Vietnamesin ihre Kleidung lupft und ein Zigarettengürtel nach dem anderen zum Vorschein kommt. Oberkörper, Bauch, Hüften, die Beine von oben bis unten, ihr ganzer Körper ist mit Doppelketten aus Zigarettenschachteln umwickelt. Der locker sitzende Schlafanzug ist dabei natürlich von Vorteil. Die Frau ist nach dieser Häutung ganz schlank und kann ihre Beute kaum in ihren riesigen Stofftaschen wegtragen.

Vietnamesische Frauen sind stark.
Vietnamesische Frauen sind stark.
Dies ist Chao, unsere Bootsfahrerin in Can Tho. Sie ist 41, stark, aber traurig, weil sie keinen Mann hat.
Dies ist Chao, unsere Bootsfahrerin in Can Tho. Sie ist 41, stark, aber traurig, weil sie keinen Mann hat.

Ich bewundere die Zähigkeit dieser Frauen, die ihr Leben in die Hand nehmen und so für sich und ihr Familie sorgen. Fast scheint sich in dieser lebenspraktischen Haltung der Frauen der Stolz einer Nation zu spiegeln, die einer Supermacht wie den USA die Stirn geboten hat.
Gleichzeitig wird mir einmal wieder klar, wie privilegiert mein Leben ist, dass ich mir überhaupt einen Asienkoller leisten kann.

Sie managt die Boots Fahrerinnen in Can Tho und hat Haare auf den Zähnen. Helmut wollte sich nicht von ihr rudern lassen.
Sie managt die Boots Fahrerinnen in Can Tho und hat Haare auf den Zähnen. Helmut wollte sich nicht von ihr rudern lassen.

03.03. – 10.03. 2014 Koh Chang

KohChang, 7. März

Die letzten Tage unserer Südostasien Reise –  am 12. März geht unser Flug von Bangkok zurück nach Berlin.

Niemandsland zwischen Kambodscha und Thailand: heiß, staubig, dreckig - trostlos
Niemandsland zwischen Kambodscha und Thailand: heiß, staubig, dreckig – trostlos

Nach einer Nachtfahrt im Sleeper von Phnom Penh bis zur staubigheißen, trostlosen kambodschanisch-thailändischen Grenze in Poipet, nach einer Tagestour im Minibus bis zum Golf von Thailand, nach einer einstündigen Fährüberquerung und einer halben Stunde im Pickup-Taxi kommen wir am Abend in unserem Resort auf der Insel Koh Chang an: eine kleine Insel, im Inneren mit Dschungel überwuchert, an den weißen, palmenbewachsenen Stränden Touristenunterkünfte für jeden Geldbeutel, entlang der einzigen Straße Restaurants und Läden für Strandkleidung, 7/11-Supermärkte – alles, was der Tourist so braucht. Koh Chang ist mal wieder Russki-Ferienparadies. (Wie der Tourismus doch Weltgeschichte und ökonomische Entwicklung spiegelt!)
Wir haben einen kleinen Bungalow, 3. Reihe, aber ’seaview‘. Die Tage verlaufen herrlich ereignislos. Es gibt nix zu tun, nix zu gucken – einmal paddeln wir mit dem Kajak auf eine kleine unbewohnte Insel, wo es auch nix zu tun und nix zu gucken gibt, morgen machen wir eine Schnorcheltour, wo es dann endlich vielleicht doch mal was zu gucken gibt. Helmut liest, ich blogge, kämpfe immer mal wieder mit der Technik und mit ‚wordpress‘. (Sollte ich je mal wieder ein blog schreiben, muss ich noch mal nach einem user-freundlicheren Programm Ausschau halten.)

Beim Betrachten der letzten Bilder, d.h. der Bilder, als unsere Reise noch Reise und nicht Urlaub war, wird mir klar, dass Phnom Penh ein Highlight war, auch ohne Angkor Wat. Was wusste ich bisher von Phnom Penh? Nicht viel, bin mir nicht mal sicher, ob ich es richtig buchstabiert hätte. Kambodscha war für mich ein blinder Fleck und nach dem Film ’same, same – but different‘ hatte ich eher die Erwartung, in eine triste, ramschigen Sextourismus-Stadt zu kommen.
Wie schon bei Bangkok muss ich meine vorgefasste Meinung revidieren. Die Hauptstadt Kambodschas – etwas mehr als 2 Millionen Einwohnern, am Zusammenfluss von Tonle Sap und Mekong gelegen – wirkt als aller erstes einmal einladend.

Phnom Penh, Sonntagnachmittag , Schlossplatz vor der Uferpromenade: heiter und entspannt
Phnom Penh, Sonntagnachmittag , Schlossplatz vor der Uferpromenade: heiter und entspannt.
Opfergaben an einem chinesischen Tempel in Phnom Penh: ungewohnt!
Opfergaben an einem chinesischen Tempel in Phnom Penh: ungewohnt!
Helmut erfreut sich an den Leckereien der Straßenküchen.
Helmut erfreut sich an den Leckereien der Straßenküchen.
Herrenfriseur hinter der Tempelmauer
Herrenfriseur hinter der Tempelmauer

Im Zentrum gibt es sehr europäisch wirkende Straßenzüge, Gebäude im Kolonialstil mit teuren Restaurants und Geschäften, aber überall natürlich auch die kleinen, billigen asiatischen Garküchen auf den Bürgersteigen, die mobilen Grillstationen mit allen möglichen Spießchen. In einigen Straßenzügen wird bei einbrechender Dunkelheit ein lockeres Nachtleben mit Anmachgirls sichtbar, das mir jedoch insgesamt eher harmlos erscheint. Aber vielleicht gibt es ja schrillere Ecken.
Die Orientierung in der Stadt fällt leicht, da die Straßen während der französischen Kolonialzeit im Schachbrettmuster angelegt wurden und nicht mit ihren Straßennamen, sondern – wie in New York – einfach mit Zahlen bezeichnet werden:  parallel zur Uferpromenade verlaufen breite Straßen mit ungeraden Zahlen, quer dazu schmalere Straßen mit geraden Zahlen. Unser Hotel befindet sich in der Straße 178, dritter Stock, Blick auf einen großen, dem Schloss vorgelagerten Festplatz, auf das Nationalmuseum und den Fluss.

Unsere Straße 178
Unsere Straße 178
Neben unserem Hotel findet eine traditionelle kambodschanische Hochzeit statt, die uns am Sonntagmorgen um 5 Uhr aus dem Schlaf reißt.
Neben unserem Hotel findet eine traditionelle kambodschanische Hochzeit statt, die uns am Sonntagmorgen um 5 Uhr aus dem Schlaf reißt.

Hier lernen wir Richard und Peter aus England kennen. Beide kennen sich gut aus in diesem Teil der Welt. Richard, 78 und ehemaliger Farmer verbringt hier seit einigen Jahren den Winter, Peter, 57, hat 12 Jahre in Saigon gelebt und gearbeitet und lehrt jetzt in Phnom Penh Geschichte und Rhetorik an einer Hochschule. Wir verbringen mit ihnen einen Abend im F.C.C., dem Foreign Correspondents‘ Club. Hier trafen sich in den 70er Jahren die ausländischen Korrespondenten und erstatteten Bericht über den Vietnamkrieg. Ich stelle mir die Atmosphäre in dem weiten Raum mit den großen offenen Fenstern zum Fluss und den hohen Decken mit den Ventilatoren vor und mir wird bewusst, wie wenig ich über die politischen Ereignisse dieser Zeit weiß. Ich rechne nach: 1975, als der Vietnam-Krieg zu Ende war, war ich 20, habe in Berlin studiert, bin gegen den Vietnamkrieg der Amerikaner auf die Straße gegangen, aber ehrlich gesagt, ich hatte keine Ahnung. Vietnam, Kambodscha, Vietkong, Khmer Rouge, für mich war alles ein politisches Kuddelmuddel und Amerika hatte Schuld. Wieso war ich so ignorant?
In Phnom Penh gehen wir in das Foltergefängnis S21 der Khmer Rouge. Die Gedenkstätte dokumentiert ohne Schnörkel anhand von Fotos der Opfer, der Täter und von Massengräbern und Berichten überlebender Zeitzeugen das unfassbare Grauen, das in diesen Räumen einer ehemaligen unschuldigen Schule stattgefunden hat. Man wird unwillkürlich an die eigene Geschichte erinnert. Aber die Schreckensherrschaft Pol Pots war erst 1979 zu Ende. Ich war 24 und hatte keine Ahnung, was an diesem Ende der Welt passierte. Die damaligen Täter könnten in meinem Alter sein. Wo sind die jetzt? Wie geht die kambodschanische Gesellschaft mit ihnen um?

Am Abend gehen wir in den Film ‚The Killing Fields‘, ein britischer Spielfilm von 1984. Die Geschichte ist authentisch, aber doch dramaturgisch so aufbereitet, dass man den geschichtlichen Hintergrund aushält. Wir verzichten bewusst auf den Besuch der ‚Killing Fields‘ außerhalb der Stadt, eines der zahlreichen Massengräber, jetzt grausige Gedenkstätte, an der der Monsunregen noch heute immer mal wieder Knochen hochwäscht. Statt dessen lese ich eine Autobiographie von einer Kambodschanerin, die als Fünfjährige die Zeit der Khmer Rouge erlebt, die Hälfte ihrer Familie verliert und die Killing Fields überlebt. Wie kommt es, dass ich damals als junge Studentin in Berlin nichts davon mitgeprägt habe? War ich zu blöd oder war das einfach kein Thema an unserer hoch politisierten Uni? Immerhin sind während der 4 Jahre der Khmer Rouge fast ein Viertel der kambodschanischen Bevölkerung (1,5 – 3 Millionen) umgekommen.
In Phnom Penh ist dieses Thema allerdings nur in dem Programmkino Flicks 2 und den Bücherkisten der Straßenverkäufer präsent. Die meisten Kambodschaner sind jung und sie scheinen optimistisch in die Zukunft zu blicken. Mir fällt auf, dass es viele soziale Projekte gibt, die benachteiligten Menschen, wie z.B. Straßenkindern, helfen. Peter bestätigt, dass sich auch die EU Kambodscha in vielen Bereichen unterstützt.
Am letzten Abend beobachte ich eine Szene vor einer kleinen Garküche. Ein älterer Mann sitzt inmitten einer Horde von kleinen, verwahrlosten Kindern. Sofort kommen einem unschöne Gedanken. Ich will wissen, was hier vor sich geht und frage die Garköchin. In gebrochenem Englisch erklärt sie, dass der Mann regelmäßig kommt, um den Kindern Essen zu kaufen. Er ist Deutscher und erzählt mir, dass er dies schon seit 5 Jahren macht, erst täglich, jetzt einmal die Woche, weil es sonst zu teuer ist. Die Freude der Kinder ist seine Freude. Ich bin froh, dass ich mich getäuscht habe. Wie einfach ist es doch zu helfen.

2. Etappe: Indien

31.10. – 3.11. Bombay

Goa, 4. November

Schlimmer kann’s nicht mehr werden:

Nach 3 Tagen Bombay kommt mir Goa wie das Paradies vor. Eine katastrophalere Stadt als Bombay habe ich noch nicht erlebt. Man kann Bombay nicht beschreiben, man muss Bombay erleben: riechen, fühlen, hören, sehen.

CIMG8442

Marine Drive oder the ‚Queen’s Necklace‘

Riechen:
das etwas faulig-süßliche Gemisch aus Moder und Verwesung, dem Duft von Räucherstäbchen, Abgasen, Müll und Urin.
Fühlen:
die feuchte Hitze und den klebrigen Schweiß, der sich mit dem Schmutz in der Luft zu einem ekligen Film vermischt, so dass man sich immer nur kalt duschen möchte.

Unser Hotel  'Oasis' in Colaba, Shahid Bhagat Singh Marg 276

Unser Hotel ‚Oasis‘ in Colaba, Shahid Bhagat Singh Marg 276

Hören:
den ohrenbetäubenden Lärm von Millionen kleiner Autos – die Hälfte davon Taxis, aber auch alte rumpelige Busse (ausrangierte Londoner Doppeldecker) -, die ständig durch ununterbrochenes Hupen auf sich aufmerksam machen und um jeden Millimeter auf der Straße kämpfen.
Sehen:
die hohen, meist unfertigen Wolkenkratzer, die alten Straßenzüge mit vergammelten Fassaden, schwarz vor Dreck und Schimmel – man kann sich kaum vorstellen, dass hier Menschen leben.

Aber Menschen leben in Bombay überall, auch in den aus Wellblech, Pappe, Plastikplanen und sonstigem Müll zusammengeschusterten Behausungen, die in jeder freien Nische der Stadt entstehen: neben Baustellen, neben der Autobahn, neben Bahngleisen, an Gräben, die als Abwasserkanäle dienen und fürchterlich stinken, unter Brücken…

Angeblich besteht die Fläche Bombays zu 60% aus Slums; im größten Slum (Dharavi) sollen 500 000 Menschen leben. Ich habe gelesen, dass jeden Tag 450 Leute nach Bombay ziehen. Daher sieht man vor allen Dingen überall Menschen: Sie drängeln auf den Bürgersteigen und über die Straße (eine Straßenüberquerung ist lebensgefährlich – zumal, wenn man den Linksverkehr nicht gewohnt ist), Menschen hocken allein oder in Grüppchen auf den Bürgersteigen, einzelne Männer liegen mitten im größten Straßenlärm in Ecken oder auf einer Mauer und schlafen. Man steigt über sie hinweg oder geht um sie herum. Man gewöhnt sich daran, die Heerscharen von Bettlern – meist junge Frauen mit Kinder oder einzelne ältere Frauen – zu ignorieren. Ich wüsste auch gar nicht, wieviel man geben würde: 10, 50, 100, 1000 Rupien?

Am ersten Tag bin ich vollkommen erschöpft. Wir verlieren im Gewühl die Orientierung (Straßenschilder sind kaum zu finden und wenn, nicht von uns zu entziffern) und nehmen uns – natürlich zu einem unverschämt überhöhten Preis – ein Taxi zum Hotel. Das Hotel liegt an einer belebten Durchfahrtsstraße und unser Zimmer geht nach vorne raus. Wir hätten unser Lager genauso gut auf dem Bürgersteig aufschlagen können. Immerhin kann man sich vor den Menschen kurzfristig zurückziehen und duschen.

Für den nächsten Tag nehmen wir uns einen Guide der uns im klimatisierten SUV in gebrochenem Englisch einige Plätze in der Stadt zeigt, die ich nicht alle aufzählen kann. Hier nur ein paar Orte und Situationen, die mich beeindruckt haben:
Dhobi Ghat: der Waschplatz von Bombay. In Bombay ist Strom teuer und Handarbeit billig. Also lassen viele Firmen und Hotels, aber auch Privatleute ihre Wäsche abholen und bekommen sie am nächsten Tag sauber wieder. Was dazwischen passiert, mutet wie eine Zeitreise an: Der Waschplatz ist ein hinter Slumhütten verstecktes Areal mit überdachten kleineren offenen Räumen, mit Dachterassen, wo die saubere Wäsche getrocknet wird und einem großen offenen Platz mit unzähligen Becken, in denen die Wäsche eingeweicht und geschruppt wird. Es gibt auch Verschläge mit riesigen rostigen Trommeln – Waschmaschinen. Aber überwiegend wird von Hand gewaschen. Überall liegt in großen Haufen Wäsche rum und ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Wäsche hier nur dreckiger herauskommen kann als sie hineinkam. Auch ist mir ein Rätsel, wie jedes der Millionen Wäschestücke zu seinem Besitzer zurückfindet, aber unser Guide erklärt uns, dass die Wäschestücke mit Codes versehen werden, die nur die Wäscherei-Wallahs verstehen, und dass angeblich noch nie ein Stück verloren gegangen ist.

Dhobi Ghat: der Waschplatz Bombays

Dhobi Ghat: der Waschplatz Bombays

Hadji-Ali Moschee: Die Moschee selbst ist nicht besonders eindrucksvoll, aber sie liegt spektakulär als kleine Insel im Arabischen Meer und ist nur über einen Fußpfad zu erreichen, der während der Flut überspült wird. Die Moschee wird sowohl von Hindus als auch Moslems besucht. Der Fußpfad ist gesäumt von Bettlern und Ständen, die religiösen Kitsch verkaufen. Das Meer ist hier so verschmutzt und stinkt so erbärmlich, dass ich nur noch durch den Mund atme. Dennoch baden einige kleine Jungens darin und haben ihren Spaß. Vor der Moschee ist eine Gruppe von halbwüchsigen Jungens, für die ich offenbar so ein Exot bin,dass sie sich alle mit mir fotografieren lassen wollen.

Der allgegenwaertige Muell ist fuer deutsche Augen nur schwer ertraeglich

Der allgegenwärtige Müll ist für deutsche Augen nur schwer erträglich

CIMG8551

Haji-Ali Moschee im Arabischen Meer

Wir besuchen ein Hindu-Heiligtum: ein großes Becken, den ‚Baganga Tank‘ (in dem auch kleine Jungens baden), drumherum der Tempelbezirk: slumartig anmutende Hütten und kleine Tempel. Auf einem desolaten Spielplatz treffen wir eine Gruppe kleiner Jungen. Sie sind neugierig. Wir unterhalten uns mit ihnen – sie sprechen besseres Englisch als jeder unserer bisherigen Taxiahrer.

Die Zukunft der Stadt spricht gut Englisch

Die Zukunft der Stadt spricht gut Englisch

Wir sind während der Diwali Feiertage, dem Lichterfest – einer der höchsten hinduistischen Feiertage – in Bombay. Überall sitzen Frauen und Kinder inmitten von Blumenhaufen – vornehmlich in gelb, orange und weiß – und fertigen Girlanden und Blumengehänge an, mit denen die Stadt sich schmückt:

Blumenschmuck fuer die Diwali-Feiertage

Blumenschmuck für die Diwali-Feiertage

Man sieht Blumengirlanden über den Eingängen von Geschäften, in den verfallendsten Fenstern, an und in den Autos, ja sogar um Jesus am Kreuz vor einer Kirche. Die Frauen kleiden sich in farbenprächtige Saris aus kostbaren Stoffen.

Frauen in Festtagskleidung

Frauen in Festtagskleidung

Überall sieht man, wie die Menschen trotz all des Drecks und der Armut Schönheit und Anmut in ihr Leben bringen wollen. Und wenn man sie anlächelt, lächeln sie fast immer zurück. Selbst die Ärmsten scheinen sich so ihren Stolz und ihre Würde zu bewahren.
Bombay war eine Erfahrung, die mich herausgefordert und mir meine Grenzen aufgezeigt hat. Ich maße mir nicht an, darüber zu urteilen, denn ich weiß viel zu wenig. Ich habe aber große Hochachtung vor den Menschen, die in dieser Stadt ihren Alltag meistern und dennoch lächeln und ich bin dankbar für das bequeme und sorgenfreies Leben, das ich leben kann.

Bombay - eine Stadt harter Kontraste

Bombay – eine Stadt harter Kontraste

03. – 10. November: Goa
10. – 13. November: Hampi
14. – 16. November: Gokarna, Om Beach

Om Beach, Gokarna, 15. November

Jetzt sind wir gerade etwas mehr als 2 Wochen weg, aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Wir sind in eine andere Welt eingetaucht und ich bin froh, dass wir noch so viel Zeit vor uns haben, denn eins habe ich schon verstanden: um Indien zu bereisen und eine Vorstellung von dem Land zu bekommen, braucht man vor allen Dingen Zeit und man muss sich unters Volk mischen, Dinge selber erfragen, organisieren, mit Bus, Bahn und Rikscha fahren und mit den Leuten reden.

Seit Bombay haben wir so viel Neues gesehen, erlebt und die Eindrücke überlagern sich, wenn ich sie nicht aufschreibe.

Was bleibt von Goa hängen?
Das Klima ist schwül-feucht – die Vegetation üppig, wie in einem botanischen Garten, aber wild und ungezähmt, dazwischen Tümpel mit Seerosen und Müll, in denen Wasserbüffel und weiße Reiher stehen, perfekte Mosquito-Brutstätten, stelle ich mir vor.

Unser Cottage - ein botanischer Garten

Unser Cottage – ein botanischer Garten

Wasserbueffel und Reiher

Wasserbüffel und Reiher

typischer Hof

Typischer Hof

Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass alles gammelt und schimmelt und fault. Die Häuser stehen zwischen wucherndem Grün, sind von Abfall umgeben und die krassen Anstriche in quietschgrün, bonbonpink, knalllila und schreiendem orange haben überall schwarze Schimmelflecken, manchmal werden Metallteile, z.B. an Lampen, mit Plastik überzogen, um sie vor Korrosion zu schützen.

CIMG8724

CIMG8723

CIMG8722

Die Inder lieben es bunt!
In der drückenden Hitze ein Geruch von giftig riechenden Pflanzenschutzmitteln (oder Insektengift?) und Verbranntem. Was verbrennen die bloß immer, frage ich mich. Erst nach ein paar Tagen wird mir klar: Die verbrennen ihren Müll! Es gibt keine geregelte Müllabfuhr. Deshalb überall die Müllhaufen neben den Häusern. Wir sehen, wie ein junges Paar auf einem Motorrad eine mit Müll gefüllte Plastiktüte in hohem Bogen in einen See schmeißt. (Wir werden diese Art der Müllentsorgung noch öfter beobachten.) Mein deutsches Umweltbewusstsein ist empört.

Die Strände:
Breit, feiner weißer Sand, Palmen – wie auf einer Postkarte, nur mit Kühen. Es geht sehr flach ins pippiwarme Wasser. Etwas zurückgesetzt einige Restaurants, mehr oder weniger provisorisch zusammengebaut, in denen man abends lecker essen und ein Bier trinken kann. Aber die Händler, die einem ständig schwarz gebrannte CDs und DVDs verkaufen wollen, nerven ziemlich. Hier treffen wir auch Shiva.

CIMG8658

Strandleben mit Kühen

Strandcafe mit selbstgezimmerten Liegen

Strandcafé mit selbstgezimmerten Liegen

Die Leute:
Shiva ist Inder, wohnt in Benaulim, dem Ort, in dem wir uns für 7 Tage in einem Cottage eingemietet haben, 44 Jahre alt und treibt sich abends in den Restaurants am Strand rum. Er kann jede Menge Sprachen, spricht Goa-Neulinge in ihrer Landessprache an und bietet ihnen so ganz nebenbei an, behilflich zu sein, wenn es Probleme bei der weiteren Organisation der Reise gibt. Er drängt sich nicht auf, er gibt den Leuten nur seine Telefonnummer. Wir sind beeindruckt von seinem fast akzentfreien Deutsch, seinem differenzierten Wortschatz und seinen Detailkenntnissen von Deutschland.

Natürlich gibt es Probleme bei der Organisation: Das indische Reisebüro braucht zur Buchung von 2 Platzreservierungen nach Hampi einen Vorlauf von 5 Tagen, das von einem hier hängen-gebliebenen Deutschen und seiner (polnischen?) Frau geführte Reisebüro ist total chaotisch und gibt uns unklare, widersprüchliche Informationen. Am Abend treffen wir zufällig Shiva. Alles gar kein Problem, sagt er. Wir sollen ihm Geld geben und morgen haben wir die Tickets. Haben wir auch! Wir sind zufrieden und verabreden uns mit ihm gleich auch noch für einen Tag Goa-Sightseeing mit Bus und Rikscha – aber das ist eine andere Geschichte. Später erfahren wir, dass Shiva bei den Touristen wohl bekannt ist wie ein bunter Hund und sich seine Hilfsbereitschaft durchaus gut bezahlen lässt. Shiva besorgt uns noch 2 weitere Tickets und wir sind froh, dass wir uns nicht kümmern müssen. Dass er uns etwas beschummelt, ist unserer Unwissenheit geschuldet. Vielleicht können wir ja die nächsten Tickets selbst organisieren, und wenn nicht, brauchen wir halt wieder so einen Shiva.

Shiva mit Tochter zeigt uns Goa

Shiva mit Tochter zeigt uns Goa

Und wer treibt sich sonst noch so rum in Goa?
Inder natürlich! Goa scheint auch für mittelbetuchte Inder ein beliebter Urlaubsort zu sein und es sind ja gerade Diwali-Ferien. Wir sehen haufenweise Großfamilien, die Frauen meist in bunte Festagssaris gewandet und mit viel Goldschmuck behangen. So sieht man sie auch am Strand – bis zur Hüfte im Wasser. Manchmal sogar mit Büffel.

CIMG8625

Der Hausbüffel nimmt ein Sonntagsbad

CIMG8678

Gegen Abend belebt sich der Strand von Benaulim

Bademode scheint sich bei ihnen nicht durchgesetzt zu haben, sowohl Männer als Frauen wässern sich in Klamotten. Ich nehme an, dass die wenigsten von ihnen schwimmen können, aber sie haben großen Spaß daran, sich gegenseitig am Strand zu fotografieren, ein besonders beliebtes Motiv ist Gruppenbild mit Bleichgesicht.

Gruppenfoto mit Bleichgesicht

Gruppenfoto mit Bleichgesicht

Die nächstgrößere Gruppe sind Russen. Mir war gar nicht bewusst, dass Goa und Indien überhaupt bei den Russen ein so beliebtes Reiseziel ist und ich spüre, dass ich sie mit Argwohn und Abwehr betrachte. Der Russen-Tourismus ist hier so gewichtig, dass alle Speisekarten eine russische Übersetzung haben und viele Informationen nicht nur auf Hindi und Englisch, sondern auch auf russisch zu lesen sind. Wie wir von Shiva und unserem Rikschafahrer in Hampi erfahren, sind die Russen bei den Indern nicht sehr beliebt, z.B. weil sie kein Englisch sprechen. Ich finde, die Russen, insbesondere junge Russinnen kleiden sich häufig schamlos, zeigen viel Haut und zeigen gegenüber der indischen Kultur wenig Respekt. So sehen wir, wie eine Gruppe junger Russinnen in Hotpants und ärmellose Tops gekleidet in einem Tempel in Hampi in Yoga-Haltungen posiert, Om chantet und sich dabei gegenseitig fotografiert und filmt.

Und Hippies? Wir waren nun nicht gerade an einem der populären Hippie-Strände im Norden, aber so ein paar Relikte – meist männliche – gibt es: alt geworden, mit dünnen, langen grauen Haaren, Tätowierungen auf der erschlafften Haut, losen, indischen Baumwollklamotten, Kettchen hier und da, Ohrring… Man trifft sich morgens in der ‚German Bakery‘, einem winzigen Straßenlokal an der Hauptkreuzung von Benaulim, in dem es unter anderem auch leckeren Kuchen und Brötchen gibt – allerdings nicht wirklich deutsch. (Später stellen wir fest, dass es ‚German Bakeries‘ auch in Hampi und am Kuddlee-Beach von Gokarna gibt.) Man raucht, trinkt Tee oder Kaffee und sinniert über den Lauf der Welt. – Haschisch Rauchende haben wir übrigens nie gesehen, auch nie welches angeboten gekriegt. Was ist bloß aus dem Hippieparadies geworden? Naja, es gibt wenigstens noch Berge von bunten, verrückten Hippieklamotten an der Straße zu kaufen. Die Verkäuferinnen – viele noch junge Mädchen zwischen 10 und 12 sind hartnäckig und ringen mir das Versprechen ab, zu ihnen zu kommen. Ich kann nicht an jedem Stand kaufen, aber kaum tauche ich am Horizont auf, wird an mein schlechtes Gewissen appeliert: „You promised!“ Der Gang über die Klamottenstraße wird zum Spießrouten laufen, schließich setze ich eine Sonnenbrille auf und bitte Helmut, mit dem Moped ganz schnell durchzusausen. Am letzten Tag kaufe ich Anita noch 2 Schals und ein Täschchen ab. Sie ist 10 Jahre alt und strahlt mich an: „You bring me luck.“

Und dann gibt es in Benaulim noch jede Menge Rentner, entweder alleinstehend männlich oder paarweise. Sie kommen aus Deutschland, um es in unserer kühlen Jahreszeit warm zu haben, und man erkennt sie leicht an ihren dicklich-rosigen Körpern, die oft in viel zu enger, knapper Kleidung (Frauen) stecken. Sie kommen auch aus England, den USA, Australien – manche schon seit 45 Jahren, um ihren Lebensabend im Warmen zu verbringen und billig Bier trinken zu können: Ein Kingfisher, 0,33, ist in Benaulim für 48 – 80 Cent zu haben!

17. – 19. November: Mangalore
20. – 21. November: Mysore
22. – 25. November: Ooty

Ooty, 23. November

Nach 3 Wochen Indien scheine ich mich etwas akklimatisiert zu haben. Die Stressmomente werden weniger, der Fluchtreflex heraus aus dem ganzen Chaos, dem Müll und Krach (Das nächste Mal machen wir im Schwarzwald Urlaub!) lässt nach und wenn man sich mit Gelassenheit treiben lässt, gibt es so wunderbar viel zu entdecken. Nachdem mich zunächst die schiere Vielfalt und Masse der auf mich einstürzenden Eindrücke überwältigt und oft auch überfordert hat, beginne ich Dinge systematischer zu erfassen.

So gehe ich mit Hilfe des Reiseführers die Speisekarte inzwischen gezielter durch, setze kaum noch auf Zufallstreffer und probiere sorgloser leckere Lassies und Fruchtsäfte, die immer frisch zubereitet werden – die indische Speisekarte bietet so viel Köstliches und Magen-Darm ist bislang ausgeblieben.

Die südindische Kueche ist scharf

Die südindische Küche ist scharf

Erfrischung am Straßenrand: Kokosnuss

Erfrischung am Straßenrand: Kokosnuss

Und dann habe ich mich ein wenig in die indische Frauenmode, die mir ausgesprochen gut gefällt, eingesehen und kann unterschiedliche Kleidungsstücke und Stile unterscheiden. Die ungebändigte Freude an Farben, Mustern und Dekoration macht Riesenspaß. In Mangalore gehen wir in ein indisches Modehaus (eine indische Kette namens Westside und ich lasse mich mit Hilfe von 3 jungen Verkäuferinnen indisch einkleiden. Sie schleppen Berge von Kleidungsstücken in fröhlichen Farben an, zeigen mir, was zusammengehört und wie man es drapiert. Wir haben alle unseren Spaß und zum Schluss habe ich die volle Ausstattung in mehreren Varianten: Salwar Kameez (Pluderhosen und Leggins mit Kittel) und Dupatta (Schal). Als ich die Sachen im Hotel in den Koffer packe, kommen mir meine aus Deutschland mitgebrachten Klamotten ganz traurig vor.

becoming Indian?

Mysore: Mechthild wird indisch

Aber am spannendsten sind die Begegnungen mit Menschen.
In Hampi treffen wir Ravi – Rikschafahrer -, der uns einen Tag lang die schönsten Ruinen von Hampi, der Hauptstadt des untergegangenen hinduistischen Königreiches Vijayanagar zeigt (1336/46 bis 1565). Das Areal ist riesig und ist UNESCO- Weltkulturerbe, aber ehrlich gesagt hatte ich noch nie davon gehört. Wir kommen mit ihm ins Gespräch und er erzählt von sich: Wie er mit 28 für seine Familie sorgt und dafür arbeitet, seinen 2 Kindern (Junge und Mädchen) eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Er hat gegen den Willen seiner Eltern die Frau, die er liebt, geheiratet, im Tempel mit eigener Zeremonie, ohne Familie, Mitgift, Hochzeitsfeier – ein Affront für die Familien. Inzwischen sind Kinder da und die Eltern haben wohl sein Leben akzeptiert. Er sagt, er ist glücklich und hat auch viel Glück, denn eine Freundin hat ihm seine Rikscha gekauft, so dass er keinen Boss hat und auf eigene Kappe arbeiten kann. Die Arbeit mit den Touristen macht ihm Spaß. Dafür poliert er auch sein Schulenglisch auf.

Ravi - King of Rock City (Hampi)

Ravi – King of Rock City (Hampi)

Im Zug nach Gokarna treffen wir eine Frau mit ihren beiden Kindern, Junge 12 und Mädchen 8. Sie sind auf der Rückreise vom Wochenendbesuch bei ihrem Vater. Die Kinder sind offen, freundlich und neugierig. Sie sprechen gut Englisch und fragen uns ganz unbefangen aus. Helmut zeigt dem Jungen Sudoku auf seinem Handy und das Mädchen guckt sich voller Interesse die Bombay-Fotos auf meinem Tablet an. Die Mutter ist Lehrerin für Mathematik und erklärt mir das indische Schulsystem. Wir vergleichen Schule in Indien und Deutschland. Sie sagt, in manchen Klassen sind bis zu 50 Schüler! Die müssen disziplinierter sein als unsere Schüler, denke ich, und respektvoller mit den Lehrern umgehen. Oft sehen wir Gruppen von Schülern in braver Schuluniform auf dem Weg zur Schule. Ein anderer Lehrer – Sportlehrer, auch eine Zugbekanntschaft -, beklagt sich jedoch über die zunehmende Ungezogenheit der Schüler und die Tatsache, dass die Lehrer die Schüler nicht mehr schlagen dürfen, weil ihnen die Eltern auf den Pelz rücken. In Kerala – erfahre ich später – dürfen Schüler noch mit dem Stock gezüchtigt werden.

In Mysore bringt uns ein Inder in ein Haus in einem runtergekommenen muslimischen Viertel, wo uns jemand zeigen will, wie man Bedees dreht. Der Hausherr sitzt auf einer Matte auf dem Boden, vor sich ein paar Blätter und Tabakkrümel. Er bittet uns, auf den Matten neben ihm Platz zu nehmen. Das Bedee-Thema ist relativ schnell erledigt und wir kommen auf die wichtigen Fragen des Lebens zu sprechen: Familie, Kinder, Arbeit, Kosten für Wohnen und Ausbildung. Beide Männer haben jeweils einen Sohn und eine Tochter und es wird klar, wie wichtig ihnen die Ausbildung ihrer Kinder, insbesondere auch der Töchter, ist. Dennoch folgen sie auch der zwar offiziell verbotenen, aber weiterhin praktizierten Tradition der Mitgift, für die sie lange sparen müssen und die ein Mädchen so teuer machen. Trotzdem sind die Töchter ihr ganzer Stolz und ihre Freude und sie hüten sie wie ihren Augapfel. Natürlich wollen sie auch von unserem Leben wissen und wir verplappern uns (Um Dinge nicht so kompliziert zu machen und die Inder nicht zu erschrecken, hatten wir uns darauf geeinigt zu sagen, dass wir verheiratet sind und gemeinsame Kinder haben.) Also erfahren sie, dass ich von meinem ersten Mann getrennt bin, dass Helmut mein zweiter Mann ist, dass wir getrennte Wohnungen haben, dass ich mein eigenes Geld verdiene und dass ich 2 Kinder und Helmut keine Kinder hat. Plötzlich streckt mir unser bis dahin eher schüchterner Führer die Hand aus schüttelt meine Hand und lächelt mich an. You are lucky, sagt er. Du hast 2 Kinder, einen neuen Mann und der hat jetzt auch 2 Kinder.

Eine unerwartete Begegnung in Mysore

Unser Hotelmanager (27) in Ooty ist ganz aufgeregt. Nachdem er uns am Kamin unser Abendessen serviert hat und wir noch ein Kingfisher trinken, das er uns extra besorgt hat (Er darf in seinem Hotel keinen Alkohol ausschenken), erzählt er uns, dass seine Mutter seine zukünftige Frau gefunden hat. Sie haben sich noch nicht gesehen, aber schon miteinander telefoniert und über die wichtigsten Dinge gesprochen, z.B. dass sie mit seiner Mutter klar kommen muss. Sie werden sich demnächst treffen und bei gegenseitigem Gefallen werden sie im nächsten Jahr heiraten. Es wird eine rauschende indische Hochzeit mit um die 1000 Gästen, davon allein 600 Familienmitglieder. Wir sind auch eingeladen. Am nächsten Abend lädt uns sein Bruder – auch Hotelmanager in Ooty – ein, zu ihm nach Hause zu kommen und seine Mutter kennen zu lernen. Er wohnt zusammen mit Frau und Mutter in einem kleinen Haus. Seine Mutter bewirtet uns mit Tee und Gebäck und er zeigt uns sein Hochzeitsalbum: ein aufwendig gemachtes Fotobuch, bunt und hochglänzend. Während wir die Seiten durchblättern erklärt er uns die verschiedenen Rituale. Er und seine Mutter sind stolz, uns ihre Traditionen und Kultur erklären zu können und erneuern noch einmal die Einladung zur Hochzeit des Bruders. Zum Schluss tauschen wir E-Mail-Adressen aus und machen Fotos. Aber bevor wir gehen muss ich noch mit der Frau des Bruders telefonieren. Sie ist gerade im Nachbarort, soll aber auch an dem Ereignis teilhaben. Wir sind von der Gastfreundschaft der Familie tief beeindruckt. Kann man sich eine solche Situation in Deutschland vorstellen?

zu Gast in einer indischen Familie in Ooty

Zu Gast in einer indischen Familie in Ooty

Abschied von Ooty

Abschied von Ooty

How you like India, wollen fast alle irgendwann von uns wissen. Eine ehrliche und differenzierte Antwort würde sehr lang ausfallen und wäre für unser Gegenüber vielleicht nicht ganz verständlich. Außerdem ändern sich meine Einschätzung und mein Gefühl von Tag zu Tag und es gibt so viel Widersprüchliches und Extremes, Schönes und Hässliches, Liebenswertes und Abscheuliches – und das direkt nebeneinander. Also beschränke ich mich meist auf eine kurze positive Antwort: Indien ist bunt und fröhlich, die Inder sind sehr offen und lächeln uns freundlich an. Da freut sich unser Gegenüber, lächelt und wackelt freundlich mit dem Kopf.

Indien ist krass

und ziemlich irre

26.11. -29.11. Kochi
29.11. – 14.12. Varkala

Varkala, 4. Dezember

Bier trinken in Indien

In Indien ist es heiß und am Abend überkommt uns – obwohl sonst eher dem Wein zugetan – eine unbändige Lust auf ein kühles, frisches Bier. Nun ist Indien ein überwiegend hinduistisches Land und Alkohol ist verpönt. Man sieht kaum Betrunkene und die Suche nach einem Kingfisher (populärste indische Biermarke) gestaltet sich interessant. Hier eine kleine Bierreise durch Südwestindien:

In Bombay gibt es genügend Bier, aber man muss wissen, wo. Es gibt family restaurants, veg. und non-veg. restaurants, restaurant and bars und café and bars. Bier gibt es nur in den beiden letzteren, d.h. der Zusatz Bar ist entscheidend für das Angebot von alkoholischen Getränken. Wir nehmen unser abendliches Bier im Café Universal an der Ecke vom Collaba Causeway ein.
Goa ist der Bierhimmel. Hier gibt es Bier satt und man hat den Eindruck, dass viele Touristen genau aus diesem Grund da sind: Ein Kingfisher 0,33 bekommt man in Goa für unschlagbare 40 Rupien (48 Cent).
Hampi ist ein hinduistischer Pilgerort und sehr spirituell. Hier gibt es nur vegetarisches Essen und natürlich kein Bier. No way, sagt mir ein junger Bärtiger, den ich ganz diskret frage. Wir folgen dem Tipp unseres Rikschafahrers und suchen ein Restaurant an einem Stausee auf. – Fehlanzeige. Wir trinken Tee und unterhalten uns mit Jakob aus Hamburg, der ganz erfüllt von seiner ersten Krishna-Ashram-Erfahrung erzählt.
In Mangalore sind die Bars schmuddelige, düstere Spelunken. Hier bekommen die gesellschaftlich Gefallenen (natürlich nur Männer) ihren Stoff in kleinen, mit Türen voneinander getrennten Separees serviert, so dass man ganz anonym seinem Laster fröhnen kann. Wir fühlen uns irgendwie aussätzig und schuldig und kippen unser Bier ganz schnell runter.

So sieht ein schuldiger Säufer aus (Bier trinken in Mangalore)

So sieht ein Säufer aus (Bier trinken in Mangalore)

In Ooty wieder die gleiche Nummer: entweder lecker essen im Restaurant oder lecker Bier trinken in einer Schmuddelbar. Wir klagen unserem Hotelmanager unser Leid. Kein Problem, sagt er, und lässt uns zum leckeren Essen 2 Bier holen, die wir gemütlich am Kamin süffeln.
In Kochi begeben wir uns wieder auf die Suche nach einem Bar-Restaurant. Als wir ein Restaurant ohne Bier verlassen wollen, fleht uns der Wirt an, doch zu bleiben. Er würde alles richten und schickt Helmut mit einer Tasche in ein Bar-Restaurant in der nächsten Straße. Dort fragt der Kellner nur, wieviel, packt alles in die Tasche und Helmut wird in unserem Restaurant gebeten, die Flaschen unterm Tisch zu platzieren. Das Essen schmeckt mit dem Bier noch mal besser und beim nächsten Besuch bringen wir unsere Getränke gleich selber mit.
Auch in Varkala nimmt man Rücksicht auf hinduistische Traditionen und Gefühle. In den Restaurants am Strand serviert man das Bier im Erdgeschoss in der Teekanne, im 1. Stock wird das Bier aus in Zeitung eingeschlagenen Flaschen eingeschenkt, die dann auch sofort von den Kellnern wieder entsorgt werden.

Bier trinken im Café Italiano am Strand von Varkala

Bier trinken im Café Italiano am Strand von Varkala

Da wir in Varkala einen Kühlschrank in unserer Unterkunft haben, wollen wir uns selbständig machen und uns selbst versorgen. Wir versuchen es zunächst in einem Laden, in den man kistenweise Kingfisher getragen hat, wie wir am Tag zuvor beobachten konnten. Wir bekommen ein ungläubiges: Nein! Von einem netten Ladenbesitzer, der uns hilft, ein Motorrad auszuleihen, erfahren wir, dass es im Ort einen staatlich kontrollierten Alkoholladen gibt. Er ist in einer unauffälligen Seitenstraße und man erkennt ihn an der langen Reihe von schamvoll dreinblickenden Männern, die sich erniedrigen müssen, aus diesem vergitterten Verschlag ihren Stoff zu beziehen. (Naja, stimmt nicht so ganz, sie lächeln einen fröhlich und mit einem Augenzwinkern an. Wahrscheinlich holen die meisten von ihnen ihre Rationen auch nicht für sich selbst, sondern werden von ihren Herrschaften geschickt.) Jedenfalls erscheint Helmut am Ausgang des Verschlags stolz wie Oskar mit 4 Flaschen Bier, die wir heute genüsslich bei Sonnenuntergang auf unserer Terrasse schlürfen. (nur eine!)

Bier kaufen in Varkala

Bier kaufen in Varkala

Varkala, 12. Dezember

Zugfahren auf Indisch

Ich bin in den letzten Wochen so viel Zug gefahren wie schon lange nicht mehr – viel mehr als 1000 Kilometer! Indien hat ein gut ausgebautes Streckennetz (die Engländer!) und Zugfahren ist extrem billig: Eine Fahrt mit dem Nachtzug von Mangalore nach Mysore (ca. 500 km / 8 Stunden) im Sleeper kostet für 2 Leute ca. 4 Euro.
Und Zugfahren in Indien ist ein Erlebnis. Das fängt schon mit dem Besorgen der Tickets an, das nach einem für uns nicht ganz leicht durchschaubaren System organisiert ist. Man hat die Wahl zwischen 1., 2., 3. Klasse und AC und Non AC, aber eigentlich kommt es nur darauf an, überhaupt einen Platz zu ergattern, denn ganz Indien scheint ständig unterwegs zu sein und die Züge sind extrem voll.
Bei kurzen Strecken kann man einfach vor Abfahrt des Zuges an den Schalter gehen und die Tickets kaufen. Im Zug muss man aber damit rechnen, ständig von Leuten mit Reservierung verscheucht zu werden. Für lange Strecken, d.h. non-local-trains braucht man eine Reservierung, die man vorher im reservation office oder über eine travel agency gegen Provision bekommen kann. Dazu muss man ein Formular mit allen möglichen Angaben ausfüllen (z.B. auch Alter und Geschlecht: In Kerala bekomme ich gleich 2 Ermäßigungen: eine als Frau und eine als Seniorin (ab 58)). Wenn man Glück hat, bekommt man die Reservierungen gleich, wenn nicht, wird man auf eine Warteliste gesetzt. In jedem Fall tut man gut daran, sich rechtzeitig um Tickets zu kümmern.
Hat man die Tickets, gilt es, die nächste Hürde zu überwinden: Von welchem Gleis fährt der Zug und wo ungefähr hält der Wagen mit den reservierten Plätzen? Man muss mindestens 3 Leute fragen, um eine halbwegs verlässliche Auskunft zu bekommen – am besten den station master -, denn die Durchsagen (auch die auf Englisch) sind unverständlich und Pläne nicht lesbar und undurchschaubar. Die Züge sind kilometerlang und wenn man auf dem Bahnhof am falschen Ende steht, gerät man in riesigen Stress. Inzwischen hat sich Helmut gut eingearbeitet und wir saßen nur einmal im falschen Zug und mussten 50 km mit der Taxe zurückfahren.
Hat man die Drängelei beim Einsteigen überstanden und seine Plätze gefunden, kann man sich entspannen, der Spaß beginnt und man lernt jede Menge Leute kennen. Wenn man sich seine Plätze selber suchen muss, sollte man allerdings darauf achten, dass sie in Fahrtrichtung vor dem Klo sind, sonst ist der Genuss doch ziemlich beeinträchtigt (ist uns bei unseren Reservierungen leider meist so ergangen!) Auch sollte man im Zug möglichst nichts anfassen. Ich glaube, die Züge werden innen nie gereinigt.
Am meisten Spaß macht das Fahren im Sleeper. Sleeperwagen haben offene Abteile durch die der Gang geht. Auf der einen Seite des Ganges parallel zum Fenster ist eine Sitzbank mit 2 Plätzen, auf der anderen Seite sind 2 einander gegenüber angebrachte Bänke mit jeweils 3 Plätzen – also Platz für 8 Leute. Über den beiden Fensterplätzen ist eine Liege, über den beiden Dreierbänken sind jeweils 2 Liegen angebracht. Die mittlere wird nur nachts zum Schlafen ausgeklappt damit man tagsüber sitzen kann. Jedenfalls haben alle 8 Leute im Abteil einen Liegeplatz, was ich sehr praktisch und gemütlich finde und wovon alle reichlich Gebrauch machen.

Zugfahren auf Indisch

Zugfahren auf Indisch:

gemütlich

sehr gemütlich !

Man richtet sich auf einer Zugfahrt ganz häuslich ein mit Schuhe aus und Kissen und Decken und jeder Menge Essen, das selbstverständlich solidarisch mit allen im Abteil geteilt wird. Wir werden mit Mandarinen, gewürzten Gurken und Schokolade gefüttert. So kommt man schnell ins Gespräch über Essen in Indien und Deutschland, Kinder, Famile, Schule, Heiraten….. Und ist der Vorrat aufgebraucht oder man hat ihn vergessen, keine Sorge. Ständig verkünden Verkäufer im Zug und auf den Bahnhöfen, was sie feilbieten: Chai und coffee, Wasser und Lassi, pakodas und samosas und biryani, Kekse und Chips… In indischen Zügen muss man nicht verhungern. Ab und zu kommen auch Bettler vorbei, alte ausgemergelten Männer und Frauen oder Kinder, die mit einem schmutzigen Lappen den Dreck auf dem Fußboden verteilen. Regelmäßig tauchen auch herausgeputzte, herrisch aussehende Frauen auf, die die Leute bedrohen und von ihnen Geld fordern. Ich habe gesehen, wie ein schüchterner junger Mann diesen Weibern immer wieder 100 Rupien gab. Wofür, frage ich irgendwann Mitreisende und erfahre, dass es sich um Transvestiten, Transsexuelle oder Eunuchen handelt, die in der indischen Gesellschaft einen für uns unverständlichen Platz einnehmen und ihren Lebensunterhalt damit bestreiten, dass sie Leuten androhen, sie zu verwünschen oder ihnen gar ihre Geschlechtsteile zu zeigen, wenn sie nicht zahlen.
Auf jeden Fall wird es auf einer Zugfahrt nie langweilig und bequemer als unsere ICEs sind die indischen Sleepers allemal.

Berlin, 7. Januar 2014

Wie man sieht, sind wir wieder zurück – schon seit 3 Wochen. Inzwischen haben wir Weihnachten mit meiner Familie in Grasdorf gefeiert und ich war eine Woche in Österreich Skifahren mit Geschwistern und Freunden (aber ohne Helmut!). Man gewöhnt sich sehr schnell wieder an Gewohntes. Das ist vielleicht manchmal ein bisschen langweilig, aber auch sehr beruhigend und entspannend. Indien war extrem und klingt noch lange nach. Und so möchte ich doch diese Etappe meines Reisejahrs auch in meinem Blog zu Ende bringen und noch ein paar mir wichtige Eindrücke und Gedanken aufschreiben:

Das tropische Klima Südindiens ist gewöhnungsbedürftig. Mich hat es matt und passiv gemacht. Aber auch bei gemäßigterem Klima wäre Südindien kein Landstrich, in dem man Aktivurlaub machen könnte. Die Natur ist einfach nicht dafür eingerichtet, sie für sportliche Aktivitäten zu nutzen. Dschungel, verdreckte Flüsse, Sumpfgebiete – Wanderpfade habe ich nicht gesehen, und das Meer ist so warm, dass es keine Erfrischung bietet. – Unsere Möglichkeiten an Outdoor-Aktivitäten in Europa: Welch ein Luxus! Großes Erlebnis: Die Backwaters in Kerala – sie haben meine Vorstellungen von dem Roman ‚Der Gott der kleinen Dinge‘ vertieft. Genau so wie Arundhati Roy die Landschaft in ihrem Roman beschreibt, ist sie auch:

Backwaters in Kerala

Backwaters in Kerala: ‚Der Gott der kleinen Dinge‘

Die Diskrepanz zwischen in der Werbung dargestellten Traumfrauen und Lebensrealität ist krass. Überall sieht man auf überdimensionalen Plakaten Frauen auf Divans in Palästen posieren, in kostbare Seidensaris gehüllt, behängt mit Geschmeiden aus Gold, Edelsteinen und Diamanten, die märchenhaften Schatztruhen aus 1001 Nacht entnommen zu sein scheinen. Die in jeder Stadt allgegenwärtigen Schmuck- und Goldgeschäfte sind riesige über mehrer Stockwerke verteilte Einkaufstempel. Alles glänzt und funkelt. Draußen schuften Frauen mit Hacke im Straßengraben. Ich habe viele Frauen gesehen, die körperlich schwere Arbeit auf Baustellen verrichten, Arbeiten, die man hierzulande keiner Frau zumuten würde. Allerdings existiert der durch die Werbung in Grotekse verzerrte Kontrast zwischen Luxus und Überlebenskampf tatsächlich in der indischen Gesellschaft: Auf den Straßen sieht man teure Karossen und Handkarren nebeneinander, Menschen wohnen unter Planen auf der Straße neben überdekorierten herrschaftlichen Villen…

Die Diskrepanz zwischen Traumwelt und Wirklichkeit gepaart mit einer gehörigen Portion Naivität scheint mir ein Charakteristikum des Landes überhaupt, allerdings hatte ich oft das Gefühl, dass die Übergänge für die Inder fließend sind, die Unterscheidung zwischen Traum und Realität unwichtig. Im Traum werden die Frauen auf Händen getragen und mit Schätzen geschmückt, in den Bollywoodfilmen ist die Liebe das höchste Gut, in der Realität werden Frauen und Männer verheiratet, von den Familien der Frauen wird eine angemessene Mitgift erwartet, sie müssen sich in die Familie des Mannes einordnen (sie werden vergewaltigt!).

Auch bem Thema Religion hatte ich oft dieses Gefühl verschwommener Grenzen. Religion ist in Indien Teil des Alltags – überall gibt es Tempel, jeder hat einen kleinen Hausaltar und pflegt täglich Rituale, um seinen Gott/ seine Göttin gewogen zu stimmen. Mir ist – ich muss es leider zugeben – diese Art Religiosität fremd geblieben. Ich konnte angesichts der kirmesartigen, bonbonfarbenen Tempel keine Ehrfurcht und Innerlichkeit empfinden, die bunte Götterwelt und die religiösen Rituale erinnerten mich mitunter an Kindergeburtstage und die Kostümierung mancher heiliger Männer – sogenannter Saddhus – an Clowns

Hindutempel in Ooty

Hindutempel in Mettupalayam

Heiliger oder Clown?

Heiliger oder Clown?

Wir haben uns wirklich Mühe gegeben und waren an den letzten 2 Tagen im Ashram von Amma – Mata Amritanandamayi – in Kerala und haben uns umarmen lassen. Aber es hat nichts genützt. Es war zu laut, es war zu wuselig – von Helmut kam der Vorschlag, einen Tag früher als geplant abzureisen. Ich war erleichtert.

Fazit:

  • Indien war immer ein Traum für mich und ich bin froh, dass ich von all den Träumen, die man im Leben so hat, diesen Traum umgesetzt habe.
  • Indien war die eindruckvollste Reise, die ich bisher gemacht habe. Das zeigt mir, dass es noch viel zu entdecken gibt. Und diese Reise hat mir auch Mut gemacht, sich auf Abenteuerliches einzulassen.
  • Indien ist ein anstrengendes Land, aber ich würde wieder hinfahren – das nächste Mal in den Norden.

Good bye India!

Good bye India!

Hier eine Liste der Bücher, die ich vor, während und nach der Reise gelesen habe und die mir geholfen haben, mehr zu sehen und zu verstehen:

Arundhati Roy: Der Gott der kleinen Dinge
Gregory David Roberts: Shantaram
Suketu Mehta: Bombay Maximum City
Ilija Trojanow: Gebrauchsanweisung für Indien
Ilija Trojanow: An den inneren Ufern Indiens
Salman Rushdi: Midnight’s Children

Rainer Krack: Reise Know-How KulturSchock Indien
Aravind Adiga: The White Tiger
V.S. Naipaul: Land der Finsternis. Fremde Heimat Indien
Kiran Desai: Der Guru im Guavenbaum

Dominique Lapierre: Stadt der Freude
Elisabeth Gilbert: Eat Pray Love

Demnächst mehr aus Südostasien……………..

Die Reise hat begonnen…

1. Etappe: Griechenland und Italien   Naxos, 16. 09. 2013 Hallo ihr Lieben zu Hause, Lisi hat mich auf die Idee gebracht, über mein Reisejahr doch mal ein blog zu schreiben und seht her – schon wird’s gemacht: damit ihr … Weiterlesen