Delhi, 19. Juli
Indien hat mich nicht mehr losgelassen nach meiner ersten Indien-Reise 2013. Ich wollte unbedingt wieder hin. Diesmal geht es nach Ladakh im nördlichsten Bundesstaat Jammu und Kaschmir. Ich bin unterwegs mit Gerda, meiner Freundin aus Bozen, und einer Wandergruppe von weiteren 13 fröhlichen Südtirolern. Wir begeben uns auf eine Kultur- und Trekkingreise. Wir fliegen zunächst nach Delhi.
Überraschenderweise ist Delhi nicht mehr der große Schock wie Mumbai bei meiner ersten Indienreise. Als wir vom Flughafen in die Stadt fahren, finde ich alles nicht mehr so verstörend: die schwüle Hitze, das Verkehrsgewusel, das unaufhörliche Gehupe, die Menschenmassen, der Dreck, Menschen, die auf dem Grünstreifen neben der Straße schlafen…. Selbst das Hotel hat denselben Geruch nach Desinfektions- oder Putzmitteln wie die Hotels auf der letzten Indienreise. Ich habe das alles schon einmal kennen gelernt, aber ich muss mich auch nicht mehr um alles selber kümmern. Unser Reiseleiter Luca ist jung, total sympathisch, ein erfahrener Traveller und erfüllt seine Aufgaben souverän und angenehm unaufdringlich.
Stadtrundfahrt in Delhi mit Tuktuks über die imposant angelegte royale Prachtmeile zum India Gate, danach Besuch der Freitagsmoschee, die die größte Indiens ist, aber nicht besonders schön. Wir müssen unsere Schuhe aus- und einen angeschmutzten Kittel überziehen. Es ist jetzt doch brutal heiß und unsere nackten Fußsohlen qualmen, also sehen wir zu, dass wir da mal schnell wieder rauskommen und suchen lieber draußen ein Schattenplätzchen.
Bevor wir uns voll auf das Besichtigungsprogramm konzentrieren können, müssen Gerda und ich erstmal das Rupienrätsel lösen, denn unsere schlauen Reiseführer geben nur den Kurs für 1 Euro an, was uns nichts nützt, denn wir zahlen ja in Rupien. Wieviel kostet ein Bier und wieviel Trinkgeld gibt man einem Tuktukfahrer? Mathematische Kenntnisse sind gefragt, zum Glück haben wir zwei Mathematiklehrerinnen dabei.
Unser Tuktukfahrer Ameen macht gleich zu Anfang klar, dass er über das Trinkgeld hinaus, das unser Luca für die Gruppe gibt, noch eine persönliche, von Herzen kommende Anerkennung erwartet, denn er möchte uns glücklich machen und wenn wir glücklich sind, können wir ihn ja auch glücklich machen. Seine Argumentation überzeugt uns und nachdem er den Zeitpunkt der Geldübergabe angekündigt hat, beraten wir uns und befinden 100 Rupien für angemessen. Alle sind glücklich, Ameen umso mehr, als ich ihm anbiete, nach unserer Rückkehr von Leh mein Guide für meine letzten beiden Tage in Delhi zu sein.
Old Delhi: Ein Gewirr von engen Gassen, durch das sich Menschen, Tuktuks und Mopeds drängeln, unten gammelige Läden, die funkelnde, leuchtende Schätze anbieten (vor allem Stoffe in unglaublich schönen Farben und Mustern), oben die immer wieder beeindruckenden ‚Kabelbäume‘. Unser Guide sagt, sie seien alle legal und es sei nicht einfach, illegal Strom anzuzapfen. Ob das wohl stimmt?
Zurück mit der Metro. Ich wusste gar nicht, dass Delhi eine Metro hat! Seit 12 Jahren schon. Was für ein Kontrast zu der Altstadt oben. Die Metro ist modern, sauber, hell, die Orientierung fällt leicht, die Züge kommen alle 2 Minuten, sie sind klimatisiert und es ist ruhig. – Ich möchte nur noch Metro fahren.
Abends im Hotel auf der Dachterasse: Juchu!!! Endlich wieder ein Kingfisher.
Ladakh, 24. Juli
Ich will mit der Landschaft anfangen. Als wir in Leh landen, bin ich irgendwie enttäuscht. Nur geröllige, kahle Berge um uns herum, kein Grün. Man sieht auch keine schneebedeckten Postkarten-Himalaya-Gipfel. Leh ist eine Stadt in einer Einöde auf 3300 m.
Inzwischen haben wir mehrere Klöster und Dörfer besucht und haben mehrere mehrstündige Wanderungen gemacht und dabei hohe Pässe überquert. Man kommt sich verloren vor in dieser abweisenden Steinwüste und doch üben die endlosen Bergmassive in ihren Ockerfarben, Braun, Sand- und Grautönen eine eigenartige Faszination aus. Du bist ein Nichts in dieser Landschaft, du bist im Nichts.
Doch dann plötzlich ein leuchtender Farbtupfer: ein Rosenbusch oder eine blühende Salbeipflanze, die auf dem gestrengen Hintergrund der Berge ihre zauberhafte Schönheit zeigen und Auge und Herz erfreuen.
Und endlich ein bisschen Grün, es gibt Wasser. Dort wo Wasser rinnt, entstehen kleine Grünstreifen. Wenn es mehr Wasser ist und es sich auf einer Ebene etwas ausbreiten kann, gibt es Oasen – Dörfer.
Nur 5% des Landes können überhaupt bewirtschaftet weden. Wasser ist das höchste Gut und der Indus die Lebensader Ladakhs.
Das Wasser wird in kleinen Kanälen und Gräben so geleitet, dass Felder und Gärten bewässert und mittelalterlich anmutende kleine Steinmühlen zum Mahlen der Gerste angetrieben werden können. Der Anbau von Gerste und Gemüse scheint nur für den Eigenbedarf gedacht zu sein. Bisher habe ich noch keine größeren Landwirtschafts-betriebe gesehen. Es gibt nur wenige Straßen, die zu den sehr entlegenen Dörfern oder Klöstern führen. Meistens werden sie von Touristen-Taxis oder Militärfahrzeugen befahren. Tourismus und das Militär sind offensichtlich die Haupteinnahmequellen für die Ladakhis. – Und die Klöster. Darüber später mehr.
27. Juli
Es stimmt. Von den ca. 290 000 Einwohnern Ladakhs gehören 30 000 zum Militär. In Ladakh sind Inder aus dem ganzen Land stationiert. Ladakh grenzt an Pakistan im Westen und China im Osten. Zu beiden Nachbarn hat Ladakh eine kritische Beziehung, denn beide kontrollieren Teile des Landes. Wenn man durch das Land fährt, trifft man häufig auf Militärkonvois, passiert Checkpoints, die die Genehmigungen überprüfen und kommt an traurig-lausig aussehenden Barackensiedlungen vorbei. Dennoch – das Militär ist einer der größten Arbeitgeber des Landes und zahlt gut. Und Familien, die nicht so gut aufgestellt sind, sind froh, wenn sie ein Kind zum Milität schicken können.
Und wenn ein anderes Kind – in der Regel ein Sohn – in einem Kloster aufgenommen wird, sind zwei schon mal versorgt. Die Klöster brauchen Nachwuchs, die Kinder erhalten dort eine Schulbildung, zu essen und ein Dach über dem Kopf. Der Preis dafür ist, dass sie von ihren Familien getrennt werden und den oft anstrengenden Klosterregeln folgen müssen. Wir waren in einem Frauenkloster und haben uns dort mit einem 17-jährigen Mädchen unterhalten. Sie sagte, sie sei schon seit 8 Jahren im Kloster und ihr Entschluss, ein Leben lang buddhistische Nonne zu sein, stehe fest. Sie schien glücklich, ihr Gesicht strahlte. Doch hatte sie jemals eine Wahl? Oder kommt mir da wieder meine westliche Sicht von der Entfaltung des Individuums in die Quere? Die Auseinandersetzung mit dem Thema Buddhismus verwirrt und verunsichert mich. (Später mehr)
Die Klöster sind die größten Landbesitzer und verpachten ihr Land an Bauern. Das wichtigste Kloster Hemis – ein Rotmützenkloster – besitzt ein Viertel der kultivierbaren Fläche Ladakhs. Außerdem erhalten sie großzügige Spenden von Seelenheilsuchern. Mit dem Geld können die Klöster ihre Klosterschulen, Renovierungen und Bauarbeiten sowie die Restaurierung und den Erhalt ihrer unschätzbar wertvollen Kunstschätze, z.B. die teilweise über 2000 Jahre alten wunderschönen Fresken, finanzieren.
2. August, Autofahren in Ladakh
Wenn man sich eine Trekkingkarte von Ladakh anschaut, sieht man nur wenige ‚Grünstreifen‘. Ein etwas größerer ist das Nubratal im Norden von Leh, durch das der Shyok und die Nubra fließen. Der erste Ort Diskit ist von Leh 85 km und 5 Autostunden entfernt, Wir müssen einen der höchsten Pässe der Welt, den Khardong Pass auf 5300 m Höhe queren.
Die Straße ist – wie die meisten Straßen in Ladakh einspurig – und das Wetter ist regnerisch kalt. Über endlose Serpentinen quälen sich Militärfahrzeuge, Touristen-Vans und Lastwagen, Motorradfahrer und sogar einige verrückte Fahrradfahrer. 20 km vor und hinter dem Pass wird die Straße zur gerölligen Piste.
Unser Fahrer Gochuk fährt absolut sicher umsichtig und defensiv, doch bei Gegenverkehr und Überholmanövern von Militärkonvois und Lastwagen am Abgrund entfahren mir doch ab und zu leichte Paniklaute.
Immer wieder frage ich mich, warum sich der Mensch diese widerspenstige Natur gefügig machen will. Ist das gut oder schlecht? Und warum siedeln Menschen überhaupt an Orten, die kaum zugänglich sind? Später erfahre ich, dass die Straße ein alter Handelsweg von Pakistan nach Indien war – allerdings damals von Kamelkarawanen genutzt.
Ich sehe erbärmliche Grüppchen von Straßenarbeitern, die an einem der unwirtlichsten Arbeitsplätze der Welt ihre nie endenden Dienst versehen: Ein Stück Straße ist eingebrochen, ein Erdrutsch hat die Straße verschüttet, ein Felsbrocken liegt auf der Fahrbahn…. eine Sisyphos-Arbeit. Die kleinen, dünnen, dunklen Männer in ihren schmutzigen Steppjacken und groben Wollmützen kommen aus Bihar, dem ärmsten Bundesstaat Indiens. Sie sind jung, oft noch Jungens, nicht Mal 20 Jahre alt, sitzen am Straßenrand, zertrümmern mit einfachstem Gerät Steine und schichten sie zu Haufen. Sie wohnen in Baracken in der nächstliegenden Militärstation. Gochuk sagt, sie verdienen 600 Rupien am Tag, ca. 8,50 €. Wir sehen auch Frauen bei der Straßenarbeit. Sie kommen aus Nepal – ihre Kinder müssen sie in der Heimat bei Großeltern oder irgendwelchen Verwandten zurücklassen.
An diesem kalten, nieseligen Tag ist dies der bleibende Eindruck meiner ersten Passüberquerung in dieser Höhe und nicht das eindrucksvolle Himalaya-Gipfel-Panorama, das wir an einem sonnigen Tag gehabt hätten. Gut so.
Delhi, 6. August
Nach 3 Tagen ‚Golden Triangle‘ (Delhi – Agra – Jaipur) hat mich die dreckige, laute Metropole Delhi wieder, morgen Nacht geht’s zurück. So habe ich noch ein bisschen Zeit, meine 2. Indien- Reise hier weiter zu betrachten und Eindrücke festzuhalten. Aber vor meinen weiteren Ladakhimpressionen muss ich ein paar denkwürdige Ereignisse dieser letzten 3 Tage festhalten, an denen ich alleine mit Fahrer unterwegs war.
Natürlich haben mich die unglaublich ästhetischen und prächtigen Bauten wie das Taj Mahal und das Amber Fort in Jaipur sehr beeindruckt und es ist toll, diese Weltwunder und Weltkulturerbe-Bauten selbst zu sehen und sich im Strom der Touristen mitreißen zu lassen.
Aber spannender als die Bauwerke der einstigen indischen Hochkultur finde ich die Begegnungen mit Menschen.
Um sich in Indien als Tourist umzuschauen, scheint man immer einen Guide zu brauchen. Das ist lästig, denn die Guides sagen einem ständig, was man tun soll und zum Schluss, weiß man nicht, wieviel Geld man ihnen geben soll. Der erste Guide am Taj Mahal ist mir besonders lästig. Er hat auseinanderstehende, schwarz umrandeten Zähne und ein schmieriges Lächeln, mit dem er mich ständig fragt, ob ich mit seiner Führung glücklich sei. Er kommandiert mich rum und postiert mich überall, um alberne Postkartenfotos von mir und dem Weltwunder zu machen. Dann bringt er mich noch zu einem Steinmetz, dessen Vorfahren früher angeblich Arbeiten am Taj Mahal ausgeführt haben, und natürlich traue ich mich wieder nicht zu gehen, ohne ein kleines Teelicht erstanden zu haben. Naja, vielleicht werde ich mich ja darüber freuen. Jedenfalls bin ich froh, als ich diesen Typ los bin und wieder neben meinen scheuen, kaum des Englischen mächtigen, jungen Chauffeur Chiko aus Bihar sitze. Er lässt mich wenigstens in Ruhe.
Bei der nächsten Sehenswürdigkeit, Fathepur Sikri, werde ich einem Jüngelchen übergeben. Er behauptet, er heiße Mustafa und sei 19 Jahre alt, sieht aber aus wie 16. Mustafa kommt gleich zur Sache und fragt mich, ob ich damit einverstanden sei, mit ihm Sex zu haben haben. Es würde nur 20 Minuten dauern und er würde für das Zimmer aufkommen und auch zahlen. Ich denke, ich höre nicht richtig und frage noch mal nach. Aber Mustafa meint es ernst und nachdem ich ihm vorgeschlagen habe, sich doch eine hübsche junge Inderin zu suchen, erfahre ich den ganzen Ernst der Lage: junge Inderinnen bekommen nicht die Erlaubnis ihrer Eltern auszugehen, daher möchte er von einer älteren Frau in Sachen Sex unterwiesen werden. Außerdem würden reife Frauen aufgrund ihrer Erfahrung alles bieten, was die Liebe so zu bieten hat, und nicht nur rumdilletieren.
Eigentlich hat Mustafa ja Recht. Ich bin ihm nicht böse und er mir auch nicht, als ich sein Angebot ablehne. Später erfahre ich, dass es in Indien offensichtlich durchaus üblich ist, dass junge Männer von älteren Frauen in die Liebe eingeführt werden. Meinem Chauffeur Chiko sage ich, dass ich mir nur noch Orte ohne Guide anschauen möchte.
Abends in Jaipur: Ich brauche Geld – es zerrinnt mir zwischen den Fingern – und ich suche eine ATM Maschine. Ein Mann spricht mich an: Ich sei doch aus Europa, ob ich ihm sagen können, ob in Europa überall Skinheads rumlaufen und woran man sie erkennt. Er möchte mit Europa Geschäfte machen, aber hat Angst vor Skinheads.
Ich versichere ihm, dass er sich nicht fürchten muss und dass seine Angst genauso übertrieben ist wie die der europäischen Frauen davor, dass sie in Indien gleich vergewaltigt werden. Ich frage ihn nach einem Laden für Stoffe und Decken. Er setzt mich auf sein Moped und bringt mich in einen kunsthandwerklichen Laden, wo ich gleich eine Vorführung zum Bedrucken von Stoffen bekomme. Ich verspreche dem Chef, morgen wieder zu kommen. Aijiz, so heißt meine neue Bekanntschaft, möchte, dass ich seine russische Freundin Kristina kennenlerne. Wir treffen uns auf der Dachterrasse ihres Hotels und trinken Bier. Kristina ist aus Littauen, war dort Ärztin und Pharmareferentin und hat nach ihrer Scheidung ihr altes Leben hinter sich gelassen, um in Indien neu durchzustarten. Sie will ein Nahrungsprodukt für allgemeines Wohlbefinden vertreiben. Kristina ist klug, warmherzig und selbstständig und, wie ich finde, sehr mutig.
Wir verabreden uns für den nächsten Tag in Aijaz‘ Laden: Gems and Jewellery.
Nach meinem Besichtigungsprogramm gehe ich zum Kaffee in Aijaz‘ Geschäft und natürlich probiere ich allen möglichen Schmuck an. Plötzlich merke ich, dass mir ein Ohrring fehlt. Zu sechst krempeln wir den ganzen Laden um und gehen noch mal genau die Aufnahmen der Videoüberwachung durch. Nichts, der Ohrring bleibt verschwunden. Ich kaufe ein paar neue Ohrringe und denke, dass er irgendwann wieder auftauchen wird. Wir gehen wieder auf die Dachterrasse, trinken Bier und essen, Aijaz‘ Freund Yussuf kommt dazu. Jetzt habe ich Freunde in Jaipur und das Angebot, mit in ein Geschäft einzusteigen.
Delhi, 7. August
(Fortsetung: Autofahren in Ladakh)
Die Fahrt vom Tsomoriri See zurück nach Leh dauert 220 km und 7 Stunden. Wieder: viele Checkpoints mit Passkontrolle usw. Wir kommen durch spektakuläre Berglandschaften, durch leere, gnadenlos sonnenaufgeheizte Geröllwüsten und durch sehr vereinzelte winzige grüne Oasen. Wir sehen Ziegenherden, Yaks und Murmeltiere.
Unsere Fahrgemeinschaft – Ingrid, Florian und ich – vertreibt sich die Zeit damit zu überlegen, welchen Film man hier drehen könnte, z.B. rasante Verfolgungsjagden über holprige Pisten und über Serpentinen am Rande des Abgrunds in einem James Bond Film oder einen Epos à la ‚Herr der Ringe‘. Außerdem beschäftigen wir uns damit, eine mentale Liste für einen fiktiven Feedbackbogen beim Verlassen Ladakhs zu erstellen, z.B. die Straße ganz und nicht nur zur Hälfte asphaltierten, Gesteinsbrocken auf der Fahrbahn gemeinsam wegzuräumen, statt mit gewagten Schlenkern um sie herum zu fahren, Bergwasser unter der Brücke durchzuleiten, statt über sie rüber oder ein Hinweisschild auf ein View-Point Café nur dann aufzustellen, wenn es auch irgendwann eins gibt. – Aber: Wer sind wir denn, Vorschläge zu machen? Es ist nicht unser Land und was verstehen wir schon davon? Wir können nur Fragen stellen, aber die Antworten müssen wir von den Bewohnern in Erfahrung bringen.
In einem winzigen Kaff neben einer Schule für Nomadenkinder sehen wir plötzlich tatsächlich eine suggestion-box. Wir freuen uns, und fahren weiter.
Ein Wort noch zu unserem Fahrer Gochuk: Er fährt unglaublich sicher, vorausschauend und geduldig, passt immer auf,dass er die Reihenfolge unseres Konvois einhält (wir sind Fahrzeug Nr.4 von 5) und versichert sich immer wieder, dass das letzte Fahrzeug nachkommt. Nur einmal entfährt ihm bei einem gefährlichen Rückfahrmanöver, zu dem er durch einen sturen entgegenkommenden Fahrer gezwungen wird, ein leichter Fluch. Er sieht jeden Morgen frisch und wie aus dem Ei gepellt aus und putzt in jeder freien Minute sein Auto. Dank Gochuk können wir die Fahrten genießen und und – meistens – entspannen.
Trekking in Ladakh
Als wir das erste Mal einen Pass von knapp 4000 m überqueren. bin ich ganz schön geschockt. Die letzten 200 m, die in steilen Serpentinen hoch führen, fallen mir unglaublich schwer, jeder Schritt wiegt Tonnen. Ich quäle mich im Schneckentempo hoch. Damit hatte ich nicht gerechnet. Zum Glück habe ich keine anderen Malässen wie Übelkeit oder Kopfschmerzen.
Bei unseren nächsten Passüberquerungen bin ich schlauer und schlage von vornherein ein langsames Tempo ein, bei dem ich gleichmäßig und entspannt atmen kann. Das Wandern in dieser Höhe lehrt einen Geduld. Auch wenn das Ziel ganz nah scheint, so braucht es doch seine Zeit und jeder Schritt will einzeln und bewusst gesetzt sein. So wird Wandern in Ladakh zur Meditation. Auf dem Gipfel wird jeder einzeln mit ‚Berg heil‘ begrüßt und wir befestigen neben den vielen schon vorhandenen Gebetsfahnen auch unsere mit dem ladakhischen Bergsteigergruß: Kiki soso lha gyalo, den uns unser Guide Tashi vorsagt: Mögen die Götter siegreich sein. Ein schönes Ritual.
Nach den ersten 2 Tageswanderungen sind wir genügend akklimatisiert, um die 4-tägige Trekkingtour anzugehen. Wir werden begleitet von: 13 Pferden und 2 Fohlen, 3 Pferdeführern, unseren Guide Tashi und seinem Sohn, 1 Koch aus Nepal und 2 Hilfsköchen. Die Pferde schleppen unser Hauptgepäck, Zelte, Matratzen, Essen zum Kochen für 4 Tage, Geschirr, Futter für die Tiere…. Eigentlich ganz schön komfortabel. Trotzdem hätte ich nicht mehr tragen können als meinen kleinen Rucksack. An 4 Tagen überqueren wir 4 5000 m Pässe, in der 2. Nacht schlagen wir unser Lager auf 5300 m auf.
Wenn wir ankommen, sind das Klozelt und die anderen Zelte schon aufgebaut und es gibt Tee und Kekse. Während wir vor Erschöpfung in unseren Zelten zusammensacken, bereitet die Kochcrew ein ausgesprochen leckeres, mehrgängiges Abend-Menü vor: Suppe, frisch gebackenes Brot, Reis oder Nudeln mit Gemüse und Linsensauce, Melone und dann wieder: Tee.
Um 21:00 sind Gerda und ich in unserem Zelt verschwunden und versinken im Tiefschlaf, bis wir morgens um 6:30 wieder von Tashi mit einer Tasse Tee geweckt werden.
Babelsberg, 12. August
Delhi
Seit Mittwoch bin ich wieder zu Hause in Babelsberg: Kein Fitzelchen Müll, kein Krach und kein Gehupe, der Park ist grün und sauber, Menschen liegen nackt am See, unterhalten sich leise oder lesen, im sauberen Wasser gehen die Menschen schwimmen….
Die Bilder von den letzten beiden Tagen Delhi rauschen mir durch den Kopf. Als ich von der Golden-Triangle Tour zurück komme, ist in Delhi das Shiva-Festival voll im Gange. In der ganzen Stadt sieht man immer wieder einzelne oder Grüppchen von Männern, orange gekleidet, teilweise sehr müde und mitgenommen, mit einer Art bunt-dekoriertem und mit Klimbim verziertem Gestänge auf den Schultern durch die Stadt laufen. Ich erfahre, dass ein 15-Tage andauerndes hinduistisches Festival stattfindet, das an meinem letzten Delhi-Tag auf seinen Höhepunkt am nächsten Tag zusteuert: Gläubige Hinduisten schöpfen aus dem Ganges – ca. 250 km von Delhi entfernt – Wasser und bringen das heilige Wasser in den Gefäßen zu Fuß – teilweise sogar barfuß – nach Delhi zu einem der vielen Shivatempel.
In der ganzen Stadt verteilt sind Lager aufgebaut, in denen die erschöpften Pilger verköstigt werden und sie sich von ihrer anstrengenden Wanderschaft ausruhen können. Allerdings herrscht dort ein Höllenlärm und durch Lautsprecher ertönt religiöse Musik oder es spielen auch Bands. Das alles basiert auf Spenden und Freiwilligenarbeit und ist super gut organisiert. Ich bin total beeindruckt.
Mein Tuktukfahrer der letzten beiden Tage bringt mich zu so einem Camp und der Oberorganisator dieses Camps zeigt mir alles und lädt mich zum Tee ein.
Ladakh: Menschen und Religion
Auch wenn ich jetzt schon wieder ein paar Tage zu Hause bin und sich allmählich das Ende der Sommerferien und mein Schulalltag wieder in den Vordergrund drängeln, ich möchte diese Reise zu Ende bringen, d.h. aufschreiben, was mich beeindruckt und bewegt hat – nicht nur für mich, sondern auch für meine Reisetruppe.
Ich habe es ja bereits angedeutet: Wenn man in Ladakh unterwegs ist, kommt man nicht an dem Thema Spiritualität und Buddhismus vorbei. Überall im Land kleben die imposanten Klöster an den Felsen, überall trifft man auf teilweise gigantisch große, vergoldete Buddhafiguren, überall stehen Gebetstrommeln, um die man rechts herum geht und dabei anstößt, überall trifft man auf kleine Hügel mit Mani-Steinen und meist weiß getünchte Stupas, überall hängen Gebetsfahnen. Und das ist nicht nur folkloristische Deko.
Gerda und ich lesen uns gegenseitig über den Buddhismus vor, versuchen zu verstehen, gleichen es ab mit dem, was wir sehen und unserem eigenen Leben.
Dialog Gerda – Mechthild
M: Ich kann meine Sonnenbrille nicht finden – ich habe schon überall geguckt. Sie ist weg, aber ich brauche meine Sonnenbrille.
G: Dass du so an deiner Sonnenbrille hängst, schafft nur Leiden. Du musst dich davon lösen.
M: Aber wenn ich meine Sonnenbrille nicht finden kann, schafft das noch mehr Leiden.
Ich lese von einem Autor (Andrew Harvey, A Journey to Ladakh), der auf der Suche nach Erlösung beim Buddhismus in Ladakh landet und dort seinen Lehrer und Meister findet, einen alten Mönch aus dem Kloster Thikse. Dieser hat 20 Jahre in einer Höhle allein meditiert, um zur Erleuchtung zu gelangen. – Das ist nichts für mich, denke ich. Dann will ich lieber keine Erleuchtung. Und vielleicht ist diese Art von Erleuchtung nichts für den Menschen, wenn er ein Viertel seines Lebens dafür allein in einer Höhle meditieren muss.
Trotz unserer westlichen Zweifel beweisen die Menschen, die wir in Ladakh treffen, dass der Buddhismus ihr Leben bestimmt und erdet. Sie sind freundlich, ausgeglichen und geduldig. Sie saufen und rauchen nicht, essen kein Fleisch – nicht mal Eier. Sie drehen jede Gebetsmühle und gehen um sie im Uhrzeigersinn herum, sie murmeln Mantren zu ihren Perlen auf der Mala. Der Buddhismus bestimmt die Regeln, nach denen sie leben und man hat das Gefühl, dass sie ein Leben führen, mit dem sie zutiefst einverstanden sind und das mit der Erde und ihren Ressourcen verantwortungsvoll umgeht.
Dolma, die ‚landlady‘ unseres Guesthouse in Leh, hat uns sehr beeindruckt. Sie ist wohl so Mitte 60 und führt das Guesthouse nach dem Tod ihres Mannes vor drei Jahren selbständig und geschickt mit ihrer Tochter und Schwiegertochter. Sie war Vorsitzende der Frauen-Association in Leh und hat mit der Norwegerin Helena Norberg-Hodge, die viel in Ladakh gelebt und das Leben in Ladakh erforscht hat, zusammengearbeitet, um insbesondere die Frauen auf dem Land zu unterstützen bei dem Erhalt ihrer Fähigkeiten und Traditionen. Dolma lebt ihre buddhistischen Werte, geht zu Lektionen des Dalai Lamas, der gerade ein paar Tage in Leh ist, kennt aber auch die Welt, hat in den USA ihre andere Tochter besucht und hat sich selbst Englisch beigebracht. Dolma serviert uns nicht nur jeden Abend ein leckeres Abendessen, sondern hat auch immer Zeit für ein kleines Schwätzchen und führt uns sogar am letzten Abend noch in die Kunst des Momo-Machens ein.
Sie verbindet selbstverständlich ihre buddhistischen Werte mit den Veränderungen, die Öffnung Ladakhs und die Globalisierung mit sich bringen.
Natürlich bleibt auch Ladakh nicht vom Tourismus und seinen Auswüchsen verschont. Auf dem Lande in den Dörfern spürt man das kaum und die Menschen scheinen ihren Jahrhunderte alten erprobten traditionellen Lebensweisen nachzugehen (allerdings sieht man schon auch hier Satellitenschüsseln), aber Leh ist ganz deutlich auf Tourismus eingestellt. Überall entstehen immer größere und luxuriösere Hotels. Wenn man über die Straße läuft, muss man es möglichst vermeiden, in irgendeine Auslage zu gucken, denn sofort wird man von den Händlern zugetextet und es ist schwer sich – ohne unfreundlich zu werden – ihrer Überredungskünste zu erwehren. Am Schluss fahren Gerda und ich nur noch Taxi.
Und natürlich diskutieren wir in der Gruppe über unsere Rolle bei dieser Entwicklung. Was ist gut, was ist schlecht am Tourismus? Es ist schwierig, einen Mittelweg zu finden, doch ich denke, wenn das Kennenlernen und das Verstehenwollen ohne Besserwisserei im Vordergrund steht, kann es gut sein. Und ich glaube, dass ist unserer Reise gelungen.
Vielen Dank Raimund, Reinhold, Florian, Brunhild, Sylvia, Ingrid, Giovanna, Enzo, Frank, Klaus, Margret, Katja und natürlich Gerda!!! für die vielen guten Gespräche, das Jodeln, die Geburtstagsüberraschungsparty und die tolle Wandererfahrung, die wir miteinander teilen konnten. Und vielen, vielen Dank an dich Luca, der du uns mit unglaublicher Souveränität und Kenntnis und gleichzeitig mit bewundernswerter Sensibilität für Land und Leute geführt hast und mir nicht nur eine Reise in eine unbekannt äußere Welt, sondern auch eine Reise nach innen ermöglicht hast.